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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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war verändert und ging mich nichts mehr an. Da du nicht da warst, um mich in meiner Schwäche zu sehen, mußte ich mich an diesen Tagen selber schlagen, das war eine Verweigerung des Selbstmitleids und die Notwendigkeit, dem Schmerz eine Farbe zu geben: auf der Schläfe das Blau deiner Verachtung, auf der Schulter das Gelb meines freien Falls. Ich nahm oft Weinflaschen oder Türklinken dazu, mit Rasierklingen schnitt ich mir Kreuze in Arme und Schenkel, ich markierte die Stunden wie ein Häftling, bis mein ganzer Körper weinte. Mit keinem Wort hast du je die unübersehbaren Male bedeckt, wahrscheinlich verbarg sich das Grauen hinter deiner unerschütterlichen Ruhe.
    Aus einem gewissen Blickwinkel betrachtet, war ich die Stärkere von uns beiden.

    Ich habe mich eine Weile lang angestarrt in dieser Spiegelwand im Nova, dann nahmen wir das Gespräch wieder auf, und ich war nur noch ein Häufchen Elend. Später hast du mir einmal gestanden, daß du an jenem Abend dachtest, ich wollte dich veralbern, indem ich auf Woody Allen machte, um dein Begehren herauszufordern. Ich trieb die Aufrichtigkeit bis zum Ende, vielleicht um dir nachträglich dafür Recht zu geben, daß du dasselbe getan hast. In einem Zug offenbarte ich dir, daß ich, von nahem betrachtet, nicht schön bin und Männer mich im allgemeinen für geisteskrank halten, daß ich mich unwohl fühle in meiner Haut und mit diesem Unbehagen häufig meine gesamte Umgebung anstecke, daß mich alle Menschen in meinem Leben einschließlich meiner Eltern am Ende fallenlassen haben, und daß ich, bevor ich in meinen Badezimmerspiegel schauen kann, das Licht aus-schalten muß. Auf den ersten Blick war ich keineswegs häßlich, im Gegenteil, ich wollte nur nicht mit verdeckten Karten spielen, die Häßlichkeit mußte angekündigt werden, um vorzubeugen, es war damit zu rechnen, daß sie auftauchen würde. Ich habe dir an diesem Abend im voraus meine gesamte Routenbeschreibung gegeben, ich habe dir sämtliche Gründe für das Ende deiner Liebe im voraus geliefert, ich hielt viel von Transparenz, wie du auch.
    Ich war zwar nicht häßlich, doch meine Schönheit war unbeständig, wie soll ich sagen, sie konnte jederzeit scheuen und sich nach innen verziehen; manchmal löste sie sich binnen weniger Sekunden auf. Da mußte nur ein weibliches Wesen in deinem Gesichtskreis auftauchen, es reichte schon, wenn du von jemandem sprachst und dabei bestimmte Worte hervorhobst, zum Beispiel »hübsch«, das brauchte nicht einmal eine Frau zu sein, ein Foto genügte oder auch deine Katze Oreo. Im Grunde genommen hing meine Schönheit ständig an einem seidenen Faden, sie war mit unserer Zweisamkeit verknüpft, in Gesellschaft verblaßte sie. Es war eine wilde Schönheit, die sich oft in ihrem Bau verkroch und ihre Zähne zeigte.
    Nachdem ich mich so beklagenswert geäußert hatte, bin ich für einen Moment verstummt. Wenn es zu spät ist, kommt man oft wieder zu sich, nimmt sich bei der Hand und redet sich gut zu, man sagt sich, beim nächsten Mal werde ich ganz anders sprechen, die Häßlichkeit nicht behaupten, sondern in Frage stellen, den anderen fragen, was er sieht, bevor ich mich offenbare. Mir haben schon Leute gesagt, ich sei ihnen unerreichbar vorgekommen, bevor sie mich kannten, der Gnade jener teil-haftig, deren mühevollen Aufstieg zur gesellschaftlichen Anerkennung man nicht miterlebt hat, eine unbefleckte Hure, die auch in der Schande vornehm blieb.
    Ich war schwach, und du warst von Geburt an groß, du hast dich schon als Baby durchgesetzt, deine Mutter hat deinen Vater aus ihrem Schlafzimmer geworfen, um dir dort Platz zu schaffen, er wurde in ein Dienstbotenzim-mer mit Dachluke im sechsten Stock ausquartiert. Seit deiner Geburt warst du der Hahn im Körbchen, der am frühen Morgen ganz Paris wach schrie. Nachts hast du deine Mutter mit deinen eigenen Liedern in den Schlaf gebrabbelt, sie fühlte sich bei dir sicher und schlief mit geballten Fäustchen in dem breiten Bett deiner entzwei-ten Eltern.

    Wir haben immer weiter gesprochen vor der Spiegelwand im Nova, aber ich hörte nicht mehr zu, nichts konnte mich mehr erreichen, nicht einmal deine Stimme, selbst du warst machtlos gegen die größte Besessenheit meines Lebens, die auch die furchterregendste ist, weil ich den Ausgang nie gefunden habe: mein Spiegelbild. Wenn ich mich aufhänge, werde ich mein Gesicht mit einem Kis-senüberzug verdecken und die Sargöffnung verbieten.
    Kein Ereignis auf der ganzen Welt, nicht

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