Hoerig
zu, wir hatten beide befürchtet, daß Annies Eindringen unsere Verbindung unterbrechen könnte. Noch immer hielt Annie die rote Pailletten-Handtasche fest an ihrer Brust, als wollte sie ihre Wunde vor dir verbergen; Annie war anders als ich, sie hat dich geschont, sie schützte dich vor sich, sie konnte sich beschränken.
Meine Rückkehr hat euer Gespräch unterbrochen, ihr seid verstummt. Man hätte nicht behaupten können, daß Annie wütend wirkte oder auf dich böse gewesen wäre, überhaupt nicht, sie traute sich nicht einmal mehr, einen von uns beiden anzuschauen, mich oder dich, sie betrachtete den Boden oder deine Füße, als ob sie auf etwas warten würde, doch auf ihrem Gesicht lag der unermeßliche Schmerz jener Frauen, die gemocht werden, aber nie erwählt.
Nach minutenlangem Schweigen ging Annie mitsamt ihren Freundinnen und der namenlosen Traurigkeit jener Frauen, die von der Liebe nur Halbheiten kennen, wieder in der Menge auf.
Die Party ging ohne sie weiter im Technogedröhn, das in den Bässen härter wurde, und wir gefielen uns immer besser. Adam rang immer noch um die Aufmerksamkeit Isabelles, manchmal kam er für ein paar Minuten zu uns herüber, um ein paar Worte zu wechseln und mich flüchtig auf die Wange zu küssen, aber nur um Isabelle zu demonstrieren, daß er auch ein Leben hatte. Uns fiel auf, daß wir seit Beginn der Party mitten auf der Tanzfläche standen, wo immer mehr Leute auf Speed immer schneller tanzten. Du schlugst vor, ein bißchen Luft zu schnap-pen, ich sagte ja, dann wolltest du nicht mehr, vielleicht um nicht noch eine Störung unserer Verbundenheit zu riskieren, wo wir uns gerade so gut verstanden, um uns nicht aus dieser Umgebung unter den klaren Sommer-himmel zu verpflanzen, der uns womöglich alles verha-gelt hätte.
Statt dessen hast du mich am Arm genommen und von der Tanzfläche zu einer neuerdings mit Spiegeln tapezier-ten Wand geführt, auf der bunte Lichtpunkte tanzten.
Aber ich sah nicht die Spiegel, sondern eine Vergrößerung der Partygesellschaft in einen mir unbekannten Raum. Einen Moment lang dachte ich, sie hätten die Wand zum Loft nebenan durchgebrochen, doch dann sah ich mich, mich selbst, Nelly. Da bin ich in mich hineinge-fallen, dir trotz der Aufmerksamkeit, die du mir bis dahin geschenkt hast, einfach aus den Händen geglitten; der Spiegel schnappte nach mir, und das Band zwischen uns ist gerissen. An diesem Abend im Nova habe ich dir ungewollt den Geburtsfehler gezeigt, der aus mir ein Monster macht, unsichtbar im Tarot meiner Tante, ich habe schon immer gesagt, daß mein Problem die Sichtbarkeit ist. Du hast diesen Fehler nur zu gut gekannt, er hat dich bald angeödet, weil er an dir hängenblieb, du solltest ihn durch deine Liebe aufwiegen und ihm ein wenig von deiner Schönheit abgeben.
Meine Haare hatten an diesem Abend ihre natürliche Farbe, also weder Blond noch Braun, aber im Grunde genommen hatte das nichts damit zu tun, es war nur die Spitze des Eisbergs, wie man so sagt, wenn man Aben-teurer warnen will, daß manches sich nach unten, in die Tiefe hin ausbreitet und im Verborgenen monströse Ausmaße annimmt. Erst betrachtete ich die farblosen Haare im Spiegel, dann die Rötungen auf Nase und Wangen und so weiter, bald waren im Spiegel nur noch Parzellen der Häßlichkeit zu sehen, die sich in einer Unzahl von Tönen bis in die winzigsten Teilchen zersetzten; da wäre ich gern allein gewesen, um mich ganz neu zu schminken und zu frisieren. Aus allzu großer Nähe betrachtet, wurde die Unvollkommenheit überdeutlich und gab der Kritik Raum.
Anfangs hast du geglaubt, ich sei von mir selbst so durchdrungen, daß ich mich immer in allen Spiegeln betrachten müßte, allmählich hast du begriffen, daß ich nicht eingebildet, sondern schwach war, dann hörtest du auf, mich zu lieben, weil dein Schwanz es brauchte, daß ich mir selbst genügte. Schwäche war Schwäche vor Zeugen, Schwäche war eine Einladung zuzuschlagen, wie man auf das Elend der Penner eindrischt, um dem Ab-scheu an der Quelle zu begegnen, schlagen ist ein Versuch, mit den Ursachen fertig zu werden. Wenn ich untröstlich war, weil du mich nicht ficken wolltest, hast du mich nach Hause geschickt, um mir begreiflich zu machen, daß ich in meinen Kleinheitsanfällen isoliert werden müsse. Kaum war ich zu Hause, suchte ich als erstes in der Liste der Anrufer nach deiner Nummer, meistens hast du dich erst am nächsten oder übernächsten Tag wieder gemeldet, deine Stimme
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