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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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der Gabe der Frauen gesprochen, das Interesse an Männern zu verlieren, die sich zu sehr für sie interessieren, du hast von Annies blindem Vertrauen gesprochen, das es dir erlaubte, sie ungestraft zu betrü-
    gen, und von deinem Romanprojekt über Cyberporno. Du hast Sachen gesagt, die ich später lieber nicht gehört hätte, aber an diesem Abend habe ich dir freundlich gelauscht und dich sogar noch ermuntert, weiterzuma-chen mit deiner jahrelangen Internetrecherche für dein Buch zum Beispiel und den Girls Nextdoor, die dir lieber seien als die Pornostars, wobei das alles natürlich nur der Wahrhaftigkeit diente. Du hast mir erstaunliche Sachen gesagt, die ich selbst geschrieben haben könnte, nur mit mehr Poesie, aus deinem Munde klangen sie schonungs-los. Aber ich habe auch das Meine dazugetan, nicht nur an diesem Abend, wir hatten das gleiche Interessengebiet, die gleiche Neurose, das gleiche gedankliche Feld, in dem wir uns bewegten. Daß Frauen in Pornofilmen möglichst ins Gesicht gespritzt wird, hast du behauptet, komme daher, daß sie eine Abreibung verdienten, und nicht daher, daß sie von den Männern einen materiellen Beweis für ihre Verführungsmacht verlangten. Beschmutzen bedeute nicht beruhigen, sondern den eigenen Fehler auf den anderen abzuwälzen, um die Dinge gerade zu rücken. Ich gab dir zur Antwort, daß Männer es im allgemeinen schlecht ertragen, zu gehorchen, wenn sie zu bestrafen glauben, und daß Frauen ihre Ziele auf durch-triebenere Art erreichen, indem sie den Eindruck erwek-ken, aufs Kreuz gelegt worden zu sein.
    Wir haben einander viele Dinge dieser Art gesagt an dem Abend im Nova, wir waren bester Laune, wir waren seelenverwandt, verbündet durch unsere Geschichten, wir waren das ideale Paar, unsere Umgebung könnte sich auf uns verlassen, gemeinsam würden wir es weit bringen.
    Ein paar Monate nach dem Nova begann der Krieg, und alles an diesem Abend Gesagte wandte sich gegen uns, daß wir nicht wußten, wie wahr es war, was wir sagten, wäre noch harmlos ausgedrückt. Wir haben einander den Krieg erklärt, und wenn du ihn gewonnen hast, dann nicht, weil du die besseren Waffen hattest, sondern weil er für mich noch nicht zu Ende ist, gewinnen heißt loslassen, gewinnen heißt vergessen und den anderen dem Gefühl überlassen, daß es noch nicht zu Ende ist.
    Später dachte ich, daß du an Huren, einschließlich Ex-Huren wie mich, wahrscheinlich dieselben Erwartungen hattest wie alle Welt: daß man ihnen alles sagen kann, daß sie unkompliziert sind und sofort und ohne Umstände lieben, daß man bei der Liebe nicht etappenweise vorge-hen muß, weil sie wissen, daß jeder Kavalier einen Schwanz hat, daß sie zur Ehrlichkeit animieren, weil sie am Puls der menschlichen Natur sind und daher das ganze Elend kennen wie arme Kinder den Hunger, daß sie schon alles gesehen und alles gehört und alles mit allen getrieben haben und daher wie große Brüder sind, mit denen man ganz ungezwungen verkehren kann.

    Der Abend erreichte seinen Höhepunkt, als DJ Mouse auflegte, um Mitternacht waren über tausend Leute in dem Loft. Da ich von Techno nicht viel verstehe, sah ich keinen Unterschied in der Musik von DJ Mouse und der von DJ Nivok, der eben das DJ-Pult mit seinen Platten-koffern verlassen hatte, doch Mouse war eine Frau, und eine Frau am Werk zu sehen ersetzt das Werk, das ist eine Frage der Optik. Man hörte dies und das über sie, daß sie auf Dreier stand zum Beispiel, daß ihr unschuldiges Puppengesicht mit den braunen Haaren die Kameras anzog und sie daher ziemlich viel verdiente. Du hast mir erzählt, daß sie Nadine nahestand, wobei sämtliche DJs von Montreal und die gesamte Technoszene Nadine nahe standen, und daß du es bereutest, ihr nahe gestanden zu haben wie alle anderen, weil du nicht irgendwer warst.
    Dieser Abend im Nova war der letzte, an dem ich dir gestattet habe, so lange von ihr zu erzählen; du hast die Nachsicht ausgenutzt, die man zum ersten Kennenlernen braucht.
    Auf dem Höhepunkt des Abends löste Annie sich aus der Menge, kam auf dich zu und nahm dich zur Seite, weil sie mit dir reden wollte. Adele und Jacynthe, zwei ihrer Freundinnen, die ich schon auf anderen Orion-After-Hours gesehen hatte, beobachteten flüsternd die Szene.
    Schon da hatte ich Angst, dich zu verlieren, ging aber mit meinem strahlendsten Lächeln an die Bar, um mir ein Glas holen und euch allein zu lassen. Als ich eine Stunde später zurückkam, warfst du mir einen erleichterten Blick

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