Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
sie schnieft und schüttelt wieder den Kopf. Schnäuzt sich in die Serviette und hat eine Idee: Vielleicht sollte sie es wagen, ihn zu fragen, ob sie heute Nacht hier schlafen kann. In einem Café im Hauptbahnhof, das war zwar nicht gerade das, was sie sich vorgestellt hatte, als sie heute Morgen hier ankam, doch jetzt scheint es plötzlich der beste Ort zu sein. Sie ist todmüde, am liebsten würde sie sich hier auf der Bank zusammenrollen und sich einfach von allem wegschlafen. Mit diesem Typen als Wachmann wäre sie wahrscheinlich sogar sicher. Sie könnte hier schlafen, bis die Stadt erwachte, und dann ihre Suche nach einem Job und einer richtigen Wohnung fortsetzen.
Gerade will sie den Mund aufmachen und fragen, als er zur Kühltheke des Cafés hinübergeht. Er nimmt vier belegte Brote und kommt mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht zurück.
»Du essen!«
Ah, danke. Sie nimmt gern eines der Brote, aber ihre Frage hat sie nicht vergessen, doch erst einmal wickelt sie die Folie von einem Brot mit Brie und sonnengetrockneten Tomaten und nimmt einen großen Bissen.
Das fühlt sich so schlimm an! Noch nie zuvor hat sie geschenktes Essen annehmen müssen, und erst recht nicht an einem Ort gesessen, wo sie einen fremden Mann bitten musste, dort schlafen zu dürfen.
»Wo ist Hause, Mädchen?«
Peinlich ist vielleicht das richtige Wort. Dass alles so schiefgegangen ist. Dass sie es nicht besser hingekriegt hat. Dass sie nicht einfach ihre Tasche nehmen und nach Hause fahren kann.
»Kannst du nicht …«
Sie macht eine abwehrende Geste, sieht auf die Tischplatte hinunter und denkt, wenn sie nur kurz hier in Ruhe sitzen kann, dann wird ihr schon einfallen, wie sie am besten fragt. Aber nein.
»Du keine Mama, Papa?«
»Kann ich heute Nacht hier schlafen?«
Plötzlich ist die Frage einfach heraus. Und als er sie sehr erstaunt ansieht, muss sie erklären: »Ich meine, hier in der Ecke. Ich brauche kein Laken oder so, ich nehme die Jacke als Decke, und Sie können mich morgen ganz früh wecken, wenn die ersten Gäste kommen und die Plätze brauchen.«
»Aber wir zumachen!«
»Dann gehe ich auch sofort, ich verspreche es.«
»Zwölf Uhr.«
Der Typ deutet rasch auf die Wanduhr hinter ihnen, die exakt Mitternacht zeigt, aber seine Geste wirkt viel größer, als dass sie nur das Café umfassen würde, weshalb Jonna nachfragt: »Aber nicht der ganze Bahnhof, oder?«
Doch. Er nickt und macht noch eine weit ausholende Geste.
Das kann ja wohl nicht wahr sein. Sie ist so erstaunt, dass sie noch einmal fragt: »Ist hier in der Nacht nicht geöffnet?«
»Nacht – keine Zug.«
Er zeigt auf die Uhr und dann auf den Monitor in der Ecke, und obwohl ihre Augen jetzt wieder in Tränen schwimmen, erkennt sie, dass nur noch Morgenzüge auf dem Bildschirm stehen.
»Aber wenn man auf einen Zug wartet?«
Jetzt hat sie plötzlich das Gefühl, genau das zu tun. Zu warten. Sie wird doch nach Hause fahren. Stockholm ist einfach unmöglich!
Aber der Typ schüttelt wieder den Kopf. »Eisenbahn Zug ›keine Wärmestube‹.«
Und mit einem Mal begreift sie, wen er zitiert, denn in diesem Moment kommen uniformierte Wachleute mit angeleinten Hunden von den Rolltreppen und stecken ihre Köpfe ins Café und rufen ebendiese Worte: »Wir schließen jetzt! Das hier ist keine Wärmestube!« Dieselben Worte, wenn auch nicht mit dem bedauernden Tonfall des Typen vom Café.
»Wann machen Sie morgen früh auf?«
Sie fragt, obwohl das eigentlich egal ist, denn sie braucht ja jetzt sofort ein Dach über dem Kopf, und der Typ seufzt, als sei Jonna nur eines von vielen kleinen Mädchen, die er hier des Nachts schon gesehen hat. Er schüttelt den Kopf, als er ihre Tränen sieht, und wringt seinen Putzlappen aus.
»Schweden sehr gut Land.«
Mit diesen Worten verlässt er ihren Tisch, lässt die Rollläden über Kühltheken und Regalen mit Café-Utensilien herunter und macht die Haken von einem Gitter los. Dann vergittert er das ganze Café, und sie schließt den Reißverschluss von ihrer dünnen Jacke und schiebt die Hände in die verkrümelten Taschen. Sie zieht die Schultern hoch, noch ehe sie draußen ist, wie eine alte Frau geht sie langsam und gebückt auf die hohen automatischen Türen zu.
Nein, halt. Das geht nicht. Da draußen wird sie erfrieren.
Alles, nur das nicht.
»Darf ich vielleicht mal Ihr Handy benutzen?«
3
»Hallo, ich bin’s«
Schweigen.
»Tut mir leid, dass ich so spät anrufe, aber ich …«
Ich will nicht
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