Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
andere Richtung. Die Weihnachtsbeleuchtung und die schwingenden Tannenzweig-Girlanden lassen darauf schließen, dass es hier nur so von Läden und Geschäften wimmelt, in denen sie nach Arbeit fragen könnte. Sie ist wirklich nicht wählerisch, sie nimmt alles, wenn sie nur heute gleich anfangen kann.
Fasziniert beobachtet sie die vielen Autos, die am Fußgängerüberweg vorbeigleiten, die Busse, die gerammelt voll sind und doppelt so lang wie die Busse zu Hause, und dann sind da noch die Leute, die trotz des schlechten Wetters mit dem Fahrrad fahren. Fantastisch, wie viele Menschen hier leben! Sie hat gehört, dass es kurz vor Weihnachten leicht sei, in den Läden einen Aushilfsjob zu bekommen. Offensichtlich verprassen die Leute so viel Geld wie möglich für Weihnachtsgeschenke und anderes, und jetzt sieht sie es mit eigenen Augen. Auf der anderen Seite der breiten Fahrspur der Hamngatan sind die Bürgersteige voller Menschen, die Pakete und große Einkaufstaschen schleppen.
Den Versuch, alle Leute zu zählen, die sie sieht, gibt sie schnell auf, aber eines steht fest: Allein auf dieser Kreuzung hier stehen mehr Menschen als in ganz Kolsva leben.
Ein neues Leben. Jetzt fängt es an.
Heute Morgen hat sie den Bus nach Köping genommen und dann einen Zug, der gerade auf dem Bahnsteig stand, und die Wut, die sie am Frühstückstisch gepackt hatte, ließ nicht nach, diesmal hat es einfach weiterhin im Körper gebrannt. Selbst wenn sie angesichts dessen, was sie hier regeln und schaffen muss, vor Angst paralysiert wäre, würde die Wut doch bleiben und wie eine Glut in ihrer Brust sitzen. Die Wut ist ihr zur Freundin geworden.
Der Entschluss ist so verdammt richtig.
Hier in Stockholm kennt niemand sie, es weiß noch nicht einmal jemand, dass sie hier ist. Aber auch sie kennt nie manden, bei dem sie heute Nacht schlafen könnte. Das macht ihr jedoch keine Sorgen. Siebenunddreißig, neununddreißig, zweiundvierzig Autos fahren vorbei, ehe die Ampel auf Rot springt, und das sind doch alles nur Nebensächlichkeiten, die sich regeln lassen.
Sie folgt dem Menschenstrom über die Straße und hält Ausschau nach dem nächsten Laden oder dem nächsten Café, bei dem sie um Arbeit fragen könnte. Merkwürdigerweise gibt es hier nur lauter Apotheken. Vier Stück kann sie allein von ihrem Standort aus sehen. Ob sie dort fragen sollte? Und von ihrem ersten Lohn wird sie sich einen dicken Pullover kaufen. Sie schlingt die Arme um sich, zittert und vergräbt die Nase in ihrem dünnen Schal. Als sie auf der anderen Seite den Bürgersteig erreicht, pflügt sie sogleich zielgerichtet durch den Schnee auf eine der vier Apotheken zu.
»Brauchen Sie zusätzliches Personal?«
Löwenapotheke. Apotheken-Shop. Herz-Apotheke und die Würstchenbude davor. Und dann H&M auf drei verschiedenen Etagen.
»Ich kann sofort anfangen.«
»Tut mir leid, aber wir haben schon alle Hilfskräfte angestellt, die wir vor Weihnachten brauchen werden.«
Expert. Ein Schnellimbiss mit roten Plastiktischen auf der Hamngatan. Solo. Kicks.
»Ich kann mit einer Kasse umgehen und habe einen Führerschein.«
»Gallerix«, »Café Blueberry«, »Indiska« – Jonna wird immer dreister in ihren Behauptungen. Die Leute stellen ihr ohnehin keine Fragen, es heißt immer nur nein und nochmals nein. Oder sie erntet bedauernde Blicke, so wie in der großen Buchhandlung, wo die Verkäuferin trotz Vorweihnachtsstress den Kopf schief legt, als Jonna erzählt, sie habe eine Auszeit vom Gymnasium genommen und würde jetzt stattdessen arbeiten.
»Meine Liebe, aber an deiner Stelle würde ich doch erst einmal die Schule fertig machen.«
»Ja, das werde ich auch. Später dann.«
»Und wie läuft es, glaubst du, du findest etwas?«
»Äh, das wird schon klappen. Schlimmstenfalls erst nach Weihnachten.«
»Du, hier kommen jeden Tag Leute und fragen nach Arbeit, und alle wollen sie auch gern nach Weihnachten arbeiten. Aber im Januar ist der Einzelhandel tot, sage ich dir, da kann sich niemand mehr zusätzliches Personal leisten.«
Vor der Buchhandlung setzt sie ihre Tasche im Schnee ab und lehnt sich an eine Wand. Zwölf, dreizehn, fünfzehn Laternen vor dem schwarz-weiß karierten Platz, und beim Zählen schüttelt sie die Misserfolge und den Pessimismus der letzten Verkäuferin, mit der sie gesprochen hat, ab. Warum macht sie das nur? Acht, zehn, elf Laternen in die andere Richtung. Wie bescheuert! Was bringt das denn? Außerdem stimmt es nicht: Die Welt ist
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