Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
war, mit irgendwelchen kindischen Hoffnungen zu Hause anzurufen. Schließlich war sie nur einen einzigen Tag weg!
Wenn sie aufhören könnte, auf ihre Familie zu setzen, dann könnte sie diese ganze Energie und ihre Gedanken in andere, konstruktivere Sachen investieren. Hatte sie sich nicht schon heute Morgen vorgenommen, nach vorn zu blicken? War es nicht so?
Sie dreht sich um und sieht noch andere Vertriebene aus dem Hauptbahnhof kommen, einer von ihnen hinkt auf einen roten Linienbus zu, der gerade auf den Busparkplatz rollt. Die Türen öffnen sich schnaufend, und der Alte steigt schnell ein. Ein Schwall warmer Luft dringt zu Jonna herüber. Nach vorn denken. Sie steigt ebenfalls in den Bus, und aus irgendeinem seltsamen Grund fragt der Fahrer nicht nach einem Ticket, sie darf mit einem kleinen Nicken einfach an ihm vorbeigehen. Um diese Uhrzeit sind nur wenige Plätze besetzt, sie geht schweigend, den Blick auf den Boden gerichtet, nach hinten durch und schafft es, sich auf die lange Bank gleiten zu lassen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Sehr gut.
Hier ist es sicher.
Hier kann sie schlafen! Dass ihr das nicht früher eingefallen ist, so wird sie die Nacht überleben. Sie wird es schaffen. Sie schließt die Augen und entspannt sich, lehnt den Kopf ans Fenster und spürt, wie schwer ihre Augenlider werden. Das Brummen des Busmotors lullt sie ein.
Sie erwacht mit einem Ruck, es ist ganz still.
Wo sind sie nur? Muss sie hier aussteigen? Ihr Körper ist steif und kalt, die Jacke ist zu kurz, als dass sie eine Decke ersetzen könnte, und als sie sich bewegt, fährt ihr ein Stich durch die Hüften. Sie rappelt sich hoch, gähnt und sieht sich verwirrt um.
Der Bus ist dunkel und leer. Ist er abgestellt worden? Sitzt sie jetzt in irgendeinem entlegenen Stadtteil fest, von dem man nicht wieder wegkommt? Besorgt sieht sie aus dem Fenster und erkennt zu ihrer Erleichterung eine Person, die da draußen steht und raucht. Puh. Der Busfahrer.
Frost. Sterne. Stille. Ihre Augen brennen. Auf einem Schild unter einer Betonbrücke steht »Södertälje Süd«, und auf die Wand daneben hat jemand mit großen roten Buchstaben »heute« gesprayt. Das gibt ein wenig Hoffnung. Die Glut der Zigarette, die der Busfahrer raucht, ist auch rot und sieht aus, als würde sie ihr etwas zublinken. »Alles wird gut«, blinkt sie, »du bist naiv und kindisch, aber alles wird gut.«
Leise und vorsichtig legt sie sich wieder auf den Sitz. Vielleicht hat der Busfahrer gesehen, dass sie immer noch an Bord ist, und hat sie bewusst schlafen lassen, oder aber er wird die Polizei rufen, wenn er sie entdeckt – sie darf kein Risiko eingehen. Sie kauert sich zusammen und versteckt sich, als er den Bus wieder betritt, das Licht einschaltet und den Motor anlässt. Dann dreht er eine Runde durch den Bus und sammelt Müll ein, sie erstarrt, das Herz bleibt ihr stehen, und sie wagt kaum zu atmen. Er steigt wieder aus, wirft den Müll in einen Papierkorb, pinkelt in den Schnee, und als er den Bus wieder besteigt, macht er sich bereit für die nächste Tour.
Er zieht die Jacke aus, setzt sich hinter das Lenkrad und schaltet das Radio ein. Puh, jetzt schert der Bus aus der Haltestelle aus, und sie kann sich entspannen. Sie presst ihre Hände auf den Brustkorb, um den Herzschlag zu beruhigen. Was für ein Glück. Wenn es ihr jetzt gelingt, noch ein wenig zu schlafen, dann kommt bald ein neuer Tag – und dann wird alles besser werden.
*
Auf jeden Fall. Sie steht in einem Gebäude namens Eriksdals-Bad unter der Dusche, und sie fühlt sich richtig zufrieden und froh, es ist wirklich schon besser geworden. Zwar ist es noch nicht einmal einen ganzen Tag her, seit sie abgehauen ist, aber jetzt steht sie hier in einer schönen Dusche, sie ist sauber und satt und hat immer noch die Brote von gestern. Alles wird gut werden.
»Ist das da dein Badeanzug?«
»Äh … was?«
»Ich will nur wissen, ob das deiner ist, oder ob du den aus der Kiste mit den Fundsachen genommen hast.«
Ein gleichaltriges Mädchen zeigt plötzlich misstrauisch auf den Badeanzug, den Jonna anhat. Ein rundliches dunkles Mädchen mit Lidstrich unter den Augen und einer Plastiktüte in der Hand.
»Nein, der gehört mir.«
Sie wird sich hier nicht von irgendjemandem die gute Laune verderben lassen! Jonna steigt aus der Dusche und geht zu den Haken, an denen das Handtuch und ihre Schultasche hängen.
»Yeah, right.«
Das Mädchen lacht, stellt die Plastiktüte ab und übernimmt die
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