Hollisch verliebt
manchmal errötete sie sogar. Sie war zurückhaltend und nervös, gleichzeitig fest entschlossen, jede Aufgabe, die man ihr stellte, zu meistern.
Zuerst hatte er nicht gewusst, wie klug sie war. Er hatte nur gedacht: Wow, ist die hübsch … und süß … und sie sorgt sich mehr um andereals um sich selbst. Aber er hatte es schnell mitbekommen. Ihr Verstand arbeitete unglaublich schnell. Sie nahm nichts einfach so hin, wie es auf den ersten Blick erschien, sondern hinterfragte alles. Bei aller Schüchternheit – wenn sie jemandem vertraute, sagte sie ihre Meinung und stand hundertprozentig dazu.
Und mehr noch: Sie sagte immer die Wahrheit. Und wenn sie noch so brutal war. Diesen Zug bewunderte er an ihr, weil er selbst genauso war.
Außerdem war sie gefühlvoll. Anders als er; er hatte noch nicht einmal gewusst, dass ihm das gefiel. Bis er sie kennengelernt hatte. Mary Ann schreckte nicht davor zurück, ihn zu umarmen oder sich an ihn zu klammern und zu weinen. Oder lachend vor Freude durchs Zimmer zu springen. Kurz gesagt, sie ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Damit war sie das glatte Gegenteil von ihm und allen Mädchen, mit denen er je zusammen gewesen war.
Sie war verletzlich, aber sie ließ sich davon nicht bremsen. Sie … lebte einfach.
Sie hatte ihn nicht verlassen, um sich selbst zu schützen. Das wusste er. Ihr Ziel war es gewesen, ihn zu schützen. Er konnte nachvollziehen, dass sie ihm nicht schaden wollte, auch er hätte nicht ertragen, wenn ihr etwas zustieß. Aber eine Trennung? Das war doch keine Lösung.
Dann war sie eben eine Kraftdiebin. Na und? Damit würden sie fertigwerden. Jedes Paar hatte Probleme. Na gut, na gut, ihr Problem könnte ihn umbringen. Aber sie würden einen Ausweg finden, bevor das geschah. Bestimmt.
Ein Stein zerschnitt ihm eine Pfote, aber er ließ sich nicht aus dem Tritt bringen. Er rannte weiter, während ihm der Schweiß in die Augen rann. Anders als normale Wölfe konnte er (unter anderem) schwitzen, weil sich in ihm Mensch und Tier vereinten. Und er schwitzte reichlich. Das Fell klebte ihm am Leib, als er die große, böse Stadt erreichte.
Hechelnd huschte er vorbei an Menschen, die vor Schreck über dieses riesige Wesen aufschrien, an Autos, an anderen Tieren. An Haustieren, die an der Leine liefen, und an Streunern, die nach Futter suchten.
Unzählige Auren blitzten in bunten Farben auf, ihre Schichten überlagerten sich. Schichten, die verschiedenen Bereichen entsprachen: dem stofflichen Körper, den nach innen gerichteten Gefühlen, den Gefühlen für andere, dem Verstand, der Kreativität, der praktischen Intelligenz. Er sah Wahrheit und Lüge, Liebe und Hass, Leidenschaft und schließlich Frieden und Chaos.
Menschen trugen diese Schichten wie einen Mantel. Die leuchtendenHüllen verrieten ihre Gedanken und Gefühle – alles, was sie ausmachte. Was leicht zu durchschauen gewesen wäre, wenn die Schichten aus klaren, eindeutigen Farben bestanden hätten. Rot, Blau, Grün und Gelb, alles schön und einfach. Aber nein. Riley sah Schattierungen, Farben, die sich überlagerten, die ineinander übergingen, Farben, überall Farben.
Auch das gefiel ihm an Mary Ann. Ihre Aura. Die Farben, die um sie herumpulsierten, musste er nicht groß interpretieren. Sie waren so rein und stark, so säuberlich voneinander getrennt, dass keine Zweifel blieben.
Wo bist du, meine Liebe?
Das letzte Mal, und das war schon viel zu lange her, hatte er sie in Tulsa, Oklahoma gesehen. Er begriff immer noch nicht, wie er sie hatte verlieren können. Gerade noch hatte er sie gesehen, dann war sie um eine Ecke gebogen und verschwunden. Aber er hatte sie noch gerochen. Ihr süßer Duft nach Wildblumen und Honig hatte noch in der Luft gehangen. Aber dann war auch der Duft fort gewesen, ohne ihn auf eine Spur zu führen, und er hatte sie ganz verloren.
Er wäre gerne geblieben und hätte weitergesucht, aber als er seinen Bruder Nate angerufen und nach Neuigkeiten zu Vic, Aden und der Lage im Herrenhaus gefragt hatte, war er äußerst beunruhigt gewesen. Er hatte Panik bekommen, als er hören musste, dass sein Schützling „ständig weinte“, „sich in ihrem Zimmer eingeschlossen“ und „in einem echten Blutrausch wüste Drohungen“ ausgestoßen hatte. Um so schnell wie möglich zu ihr zu kommen, hatte er ein Auto gestohlen und jede Geschwindigkeitsbegrenzung übertreten.
Auch für diesen Weg hätte er das Auto nehmen können, die Fahrt hätte nur drei Stunden gedauert. Aber er
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