Holst, Evelyn
Los, verdammt. Je eher daran, je eher davon. Ein Lieblingsspruch ihrer Großmutter.
„Du hast völlig recht, Liebling“, hastig hatte Hendrik die Pasta heruntergeschluckt, tupfte sich jetzt mit der Serviette über die Mundwinkel. „Wir müssen dringend mal zusammen weg. Nur du und ich. Keine Firma, keine Handys, kein Stress. Regina hat ein paar Reisebüros angerufen, ruf sie doch in den nächsten Tagen einmal an, dann ...“
Seine Worte rauschten an ihr vorbei wie ein undeutliches Raunen, jetzt hatte sie völlig den Faden verloren. „Also ich hab im Moment gar keine Lust auf eine Reise ...“, stammelte sie verzweifelt, in diesem Moment klingelte ihr Handy. Sie wusste, wer dran war, und reagierte nicht. „Wieso antwortest du nicht?“, fragte Hendrik arglos und streckte seine rechte Hand aus. „Soll ich?“ Heftig schüttelte sie den Kopf, das Handy klingelte immer noch, sie fühlte, wie ihr der Schweiß ausbrach, fühlte die erstaunten Augen ihres Ehemannes. „Hallo?“, flüsterte sie endlich ins Telefon und hatte das Gefühl, nicht sprechen zu können. „Hast du es ihm endlich gesagt?“, Ludwig hatte leise gesprochen, aber ihr klang es so laut in den Ohren, dass sie meinte, das gesamte Lokal würde ihn verstehen, ihr Herz klopfte wie ein Presslufthammer. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen“, sagte sie steif und versteckte das Handy in den Untiefen ihrer Handtasche, sie rechnete fest damit, dass Ludwig ihr Verhalten verstehen würde. „Wer war das?“, fragte Hendrik beiläufig. „Verwählt“, sagte sie kurz und holte tief Luft. „Also, was ich sagen wollte ...“
„Darf es sonst noch etwas sein?“, der Kellner stand neben dem Tisch und schenkte ihnen den Rest des Weißweines ein. Hendrik verneinte lächelnd. „Prost, mein Schatz“, er hob sein Glas und in seinen Augen erkannte sie plötzlich eine unendliche Traurigkeit. Liebte er sie wirklich noch oder zwang er sich auch aus Pflichtgefühl dazu, eine Ehe aufrecht zu erhalten, die ihn genauso unglücklich machte wie sie? Ob sie ihn einfach fragen sollte, bevor sie sich beide gleichzeitig unglücklich machten?
„Liebst du mich noch, Hendrik?“, fragte sie. Es dauerte eine Sekunde, bevor er antwortete und es war ihr klar, dass er seine Worte sehr überlegt gewählt hatte: „Würde es dich freuen, wenn ich es täte, Marion?“
Würde es das?, überlegte sie. Würde es etwas daran ändern, dass ich ihn nicht mehr liebe? Sie wusste plötzlich, dass sie hier im Restaurant nicht mit ihm Schluss machen konnte. „Lass uns nach Hause fahren“, sagte sie, „und dort in Ruhe weiterreden. Ich hab dir etwas zu sagen. Etwas Wichtiges.“
6. Kapitel
Eigentlich mag ich überhaupt keine Zabaglione, dachte Leonie, als sie ihr Fahrrad aufschloss und über die nachtdunklen Straßen Richtung Tankstelle fuhr. Besonders vorsichtig, weil ihr hinteres Licht nur sehr sporadisch funktionierte. Da sie ihr Fahrrad selten nachts benutzte, hatte sie es bis jetzt noch nicht repariert, aber sie fühlte sich etwas unsicher, weil sie ohne Beleuchtung so gut wie unsichtbar war. Ihre schwarze Jacke war leider auch nicht der optische Aufheller. Egal, dachte Leonie und überquerte die Kreuzung, an der die Tankstelle lag, morgen fahr ich zum Fahrradladen und lass die Birne auswechseln. Und jetzt auf zur Zabaglione! Und dann auf ins Bett. Sie gähnte. Es war ein langer Tag gewesen.
„Haben Sie so was Ähnliches wie Portwein?“, fragte sie den übermüdeten Mann an der Tankstellenkasse, der hinter dem Verkaufstresen saß und ein Kreuzworträtsel löste. „Norddeutsche Insel mit vier Buchstaben?“, er sah sie fragend an. „Und Portwein haben wir nicht, aber Sherry müsste da sein. Letztes Regal, links.“ „Danke“, lächelte Leonie und ging die Regale entlang. „Übrigens – Sylt.“ „Stimmt“, sagte der Mann. „Da hätte ich wirklich von selbst drauf kommen können.“ Leonie nahm die Flasche und bezahlte. „Viel Spaß noch“, sagte sie und verließ die Tankstelle.
Der Mann sah ihr nach und dachte: was für ein zauberhaftes, junges Mädchen. Die hätte ich gern als Tochter. Und wenn ich jünger wäre ...
Leonie stieg auf ihr Fahrrad, als ihr Handy klingelte. „Wo bleibst du?“, fragte Marius. „Die Eier sind schaumig geschlagen und warten auf dich, bald werden sie zusammenfallen. Hast du den Portwein?“
„Ich hab nur Sherry bekommen“, sagte sie. „In fünf Minuten bin ich da. Können deine schaumigen Eier solange warten?“ „Beeil
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