Holst, Evelyn
nur fünf Minuten mit dem Fahrrad entfernt, sie hätte doch längst wieder zurück sein müssen. Er spürte, wie eine leichte, unerklärliche Unruhe in ihm hoch kroch und schob sie sofort beiseite. Alles war in Ordnung, und er war ein Angsthase. Und dann hörte er den Knall, riss das Küchenfenster auf, das zur Straße führte und raste auf die Straße.
Krachen, Blitze, Schreie ... Als Leonie nach einer kurzen Ohnmacht ihre Augen öffnete, weigerte sich ihr Hirn, das Chaos um sich herum aufzunehmen. „Wo bin ich, was ist passiert?“, die Stimme gehorchte ihr kaum, sie krächzte. Und dann durchschoss sie ein wütender Schmerz im Bein und sie schrie, und konnte gar nicht wieder aufhören: „Ganz ruhig bleiben“, ein junger Sanitäter drückte sie wieder in die Rückenlage. „Sie haben sich vermutlich eins oder beide Beine gebrochen. Ich gebe Ihnen jetzt ein Beruhigungsmittel.“ Wie aus weiter Ferne sah sie Marius, ihr zerbeultes Rad und einen riesigen Haufen Autoblech, aus dem ein Mann herausgetragen wurde, eine schluchzende Frau ging neben ihm, sie trug einen roten Mantel mit einem schwarzen Kragen ... „Wer ist ... was hab ich ...“, murmelte sie und dann wirkte das Beruhigungsmittel und sie sackte weg.
Als der Rettungswagen mit Leonie davonraste, sah Marius die Sherryflasche im Gebüsch. Sie war bei dem Aufprall herausgeschleudert worden und wie durch ein Wunder unversehrt geblieben. Er steckte sie ein. Aber die Lust auf Zabaglione war ihm vergangen.
Warum werde ich nicht ohnmächtig, dachte Marion wie aus weiter Ferne, als sie nach dem Aufprall nach vorn geschleudert und in den geplatzten Airbag zurückgeworfen wurde. Hendrik, der nicht angeschnallt war, wie sie als erstes feststellte, lag über dem Steuerrad, bewegungslos, mitten in dem Scherbenmeer seiner Frontscheibe, durch die der Ast eines Baumes gedrungen war und jetzt direkt neben ihm lag. Es war ein Wunder, dass er ihn nicht erschlagen hatte. Oder war er doch tot?
„Hendrik“, rief sie panisch, als sie das Blutgerinnsel sah, das ihm aus dem Mundwinkel lief. „Sag doch was, Hendrik, bitte!“, sie versuchte, die Beifahrertür zu öffnen, aber sie klemmte, und in ihrer Verzweiflung drückte sie auf die Hupe, drückte und drückte, während sie aus dem Autofenster die Hölle sah. Das andere Autowrack direkt neben sich, aus dem jetzt zwei junge Menschen krabbelten, sich schüttelten, offensichtlich unverletzt und dann von zwei Sanitätern zum Rettungswagen geführt wurden. Marion fühlte sich wie in einem völlig fremden Film. Es fühlte sich an wie eine kleine Ewigkeit, obwohl es, wie sie später erfuhr, nur ein paar Minuten gewesen waren, bis die Beifahrertür aufgestemmt und sie vorsichtig aus dem Wrack herausgezogen wurde. „Mein Mann ist noch im Auto“, rief sie, bevor sie in den Armen eines Sanitäters zusammenbrach. Und im Unfallkrankenhaus wieder aufwachte.
Ich bin tot, dachte Hendrik, als er in den nächtlichen Sternenhimmel sah, kurz bevor er in den Rettungswagen geschoben wurde, ich fühle meinen Körper nicht mehr, er hat sich aufgelöst und schwebt jetzt über den Wolken. Es war kein unangenehmes Gefühl, ganz im Gegenteil, es war sehr angenehm, das Gewicht seines Körpers, die Last seiner Probleme nicht mehr zu spüren, schwerelos zu sein. Wie aus unendlicher Ferne sah er Marion, sah eine dunkle Gestalt auf einer Trage, wollte sprechen, aber seine Lippen versagten, es kam kein Ton, noch nicht einmal ein Seufzer. Ich bin tot, ich gehe zu meinem Kind, wir werden uns wiedersehen, auf einmal lächelte er und dann war da nur noch Helligkeit und Wärme. „Ist sein Kreislauf stabil?“, fragte der Sanitäter seinen Kollegen. „Hast du seine Reflexe geprüft?“ Hendrik lächelte noch immer.
8. Kapitel
„Sie haben großes Glück gehabt“, die Stimme des jungen Arztes klang freundlich, während er Leonie geschickt und schnell den Verband über den Beingips rollte. „Ein glatter Bruch, in spätestens vier Wochen lachen Sie und Ihr Mann darüber.“ Marius, der ihre Hand gehalten hatte, lachte etwas unbehaglich: „Was nicht ist, kann ja noch werden“, und als sie nichts darauf erwiderte, fügte er hinzu: „Hauptsache, dir geht es wieder besser.“
Der Arzt ging und Leonie sah sich in ihrem Krankenzimmer um. Es war alles so schnell gegangen, sie fühlte sich verwirrt und hilflos. Und ihr Bein tat weh, verdammt weh, obwohl sie vollgepumpt mit Schmerzmitteln war. „Was ist passiert, Marius?“, fragte sie und drückte seine Hand so
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