Holst, Evelyn
dass du mich noch nicht liebst, Leonie, dachte er, aber ich habe Zeit und viel Geduld. Ich werde warten.
3. Kapitel
Es war ein langer Tag gewesen, gespickt mit verschobenen oder ganz geplatzten Terminen, stressigen Telefonaten und nörgelnden Kunden, und als Hendrik von Lehsten um 19 Uhr auf die Uhr guckte, fühlte er sich so knochentief erschöpft, dass er am liebsten in die Sauna und dann sofort ins Bett gegangen wäre. Aber das konnte er sich leider nicht leisten. Seine Produktionsfirma BILDERWELTEN hatte gerade einen riesigen Auftrag an Land gezogen, ein monatelanges, sehr zähes Ringen der Konkurrenzbewerber war vorausgegangen ... es ging um eine Sendereihe in einem Privatsender über deutsche Millionäre, die einzeln porträtiert und nach dem Spielfilm am Dienstag ausgestrahlt werden sollten. Er hatte hoch gepokert und es geschafft und jetzt war er nur noch müde. Er trat ans Fenster und schaute auf die Straße, es war bereits stockdunkel und die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos blinkten wie hektische Glühwürmchen. Überall begann der Feierabend, die Menschen setzten sich zum Essen hin, lachten, erzählten vom Tag, stritten sich ... und er fühlte sich plötzlich so einsam, so verloren, dass er unwillkürlich die breiten Schultern wie zu einem Frösteln zusammenzog.
„Soll ich den Termin mit Dr. Mannweiler bestätigen?“, Regina Schneider, seine unentbehrliche Assistentin, stand in der Tür und sah ihn fragend an.
Er seufzte. Dr. Mannweiler war der Justiziar des Privatsenders, ein hagerer, kahlköpfiger Pfennigfuchser, der unter Produzenten gefürchtet war. „Bestätigen Sie“, nickte Hendrik erschöpft. „Morgen um neun?“ Sie sah ihn besorgt an. „Genau, er nimmt die Frühmaschine aus Köln. Die Unterlagen sind vorbereitet. Geht es Ihnen nicht gut? Sie sehen ...“, taktvoll suchte sie nach einem Wort, „... erschöpft aus, Herr von Lehsten. Soll ich Ihnen noch einen Kaffee bringen?“ Er bemühte sich um ein Lächeln, sie sollte sich um ihn keine Sorgen machen, was sie natürlich trotzdem tat, denn sie liebte ihn, zärtlich, heimlich, seit ihrem ersten Arbeitstag vor sieben Jahren. „Ein Kaffee wäre schön“, lächelte er sie an. „Ich bin in einer Stunde mit meiner Frau verabredet und sie mag es überhaupt nicht, wenn ich müde bin.“
Noch während er sprach, wurde ihm klar, wie unangebracht diese Bemerkung war, in was für ein unsympathisches Licht er Marion damit setzte, zumal er zumindest ansatzweise ahnte, was für Gefühle seine Assistentin für ihn hegte und er ihr auf keinen Fall falsche Hoffnungen machen wollte. „Wir wollen am Wochenende vielleicht nach Paris fliegen“, fügte er deshalb hinzu und sah, wie sich ihre Augen bei seinen Worten leicht verdunkelten. „Wenn meine Frau nicht wieder ihre Meinung ändert. Den Kaffee mit viel ...“ „Zucker, ich weiß“, sagte Regina Schneider leise und enttäuscht und verließ sein Büro. Paris, dachte sie traurig, da war ich auch noch nie.
Hendrik griff zum Telefon, während er mit der Fernbedienung den Fernseher anstellte. „... ist es wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen israelischen Soldaten und pales...“
„Hallo?“, Marion von Lehsten klang ungeduldig, kurz angebunden und unwillkürlich zuckte er zusammen. „Was gibt es, Hendrik?“ Die freundlichen Worten, mit denen er sie auf den Abend zu zweit einstimmen wollte, versiegten, er wäre sich jetzt lächerlich vorgekommen, deshalb sagte er nur: „Ich wollte dich nur an unseren Termin erinnern, mein Schatz, ich weiß ja, wie vergesslich du sein kannst.“ Ihr entnervtes Seufzen war laut genug, dass es durch die Hörer drang und ihm signalisierte, dass er wieder einmal die falschen Worte gewählt hatte: „Ich habe nichts vergessen, Hendrik,“ erwiderte sie so kühl, so betont, dass er genau wusste, worauf sie ihn hinweisen wollte.
Nein, sie hatte nichts vergessen. Aber er auch nicht. Warum musste sie ihn immer wieder daran erinnern?
„Bis gleich, Marion“, sagte er müde. Regina Schneider hatte eine dampfende Tasse vor ihn hingestellt, schwarz und süß, wie er seinen Kaffee liebte.
Er trank einen Schluck, verbrühte sich leicht, trank noch einen Schluck.
Ihm graute vor diesem Abend.
Marion stand vor dem Spiegel und musterte sich. Trotz ihrer 43 Jahre war sie noch immer eine schöne Frau, groß und schlank gewachsen, kein Gramm Fett zuviel. Ihre schulterlangen Haare waren dunkelbraun und glänzend, ihre ebenfalls braunen Augen leuchteten. Es war
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