Holunderblut
über
seine
Realität, und die war hier, in diesem Moment. Und der Katharina ihre Realität, und in
ihrer
Realität hat sie andauernd versucht, jemanden zu retten, und ist dabei nie bei sich gewesen. Bei sich ist sie gewesen, wenn sie bei ihm war, aber warum hat ihr Leben nicht einfach ruhig und schön und normal sein können? Und die CD ist zu Ende gewesen, er hat sie ausgeworfen und sorgsam in die Hülle zurückgesteckt, weil eine Scheibe mit einem Kratzer und einem akustischen Fehler kann eine ganze Oper verderben.
Und dann ist sein Blick an etwas hängen geblieben, das da nicht hätte liegen sollen, wo es jetzt gelegen ist.
Das kann doch nicht wahr sein.
Eine Heckler & Koch P7, der Katharina ihre Dienstwaffe, auf dem Beifahrersitz von seinem M5.
Er hat kurz geprüft, ob sie geladen ist und wie sie in seiner Hand liegt, und dann hat er sie ganz langsam und vorsichtig eingesteckt, in die rechte Innentasche seines Sakkos. Und ist ausgestiegen.
ACHTZEHN
»Frau von Hohenstein, entschuldigen Sie bitte mein unangekündigtes Erscheinen – und die späte Störung – aber ich war eben in der Gegend …«
»Ja?« Die Hohenstein ist in der Haustür gestanden und hat die Katharina ziemlich ausdruckslos angesehen. Dreimal hat die Katharina geklingelt gehabt, und mindestens drei, vier Minuten gewartet.
»Ja, und da ich weiß, dass Sie ohnehin lieber im privaten Umfeld reden als in einer Polizeidienststelle … Sie haben sicher die heutigen Tageszeitungen gelesen.«
»Ja. Weshalb?«
»Man hat die Identität des E-Type -Fahrers aus dem Weiher bestätigt.«
»Hab ich gelesen, irgend so ein Pole, ja.«
Und jetzt hat die Hohenstein versucht, irgendeine Reaktion auf der Katharina ihrem Gesicht abzulesen, aber nichts. Die Katharina ist ganz ungerührt geblieben, aber im Stillen hat sie sich gedacht,
irgend so ein Pole
ist eine interessante Bezeichnung für jemanden, den man einigermaßen gekannt haben dürfte, wenn man neulich am gleichen Pizza-Abendessenstisch zusammengesessen ist, beim Freund daheim, der ein enger Geschäftspartner von dem Polen gewesen ist.
»Darf ich reinkommen? Oder störe ich?«, hat die Katharina dann gefragt.
Die Tierärztin hat halb gelächelt. »Aber nein, wo denken Sie hin? Treten Sie ein.« Und hat Platz gemacht, und die Katharina ist in den Flur getreten, und sie ist der Tierärztin zuerst in die Küche hinein und dann auf die Terrasse hinaus gefolgt. Die Hohenstein hat der Katharina ein Glas aus der Küche mitgenommen. Jetzt hat die Katharina erwartet, dass da der Dr. Lechner auf der Terrasse sitzt, aber Fehlanzeige.
Trotzdem sind ein paar Gläser herumgestanden, mehr, als man alleine braucht, aber vielleicht hat die Tierärztin einfach nicht aufgeräumt gehabt. Passiert, wenn man unverhofft Besuch bekommt.
Die Hohenstein hat der Katharina einen Prosecco eingeschenkt und ihr eigenes Glas neu gefüllt, der Katharina einen Platz angeboten, sich gesetzt und sich eine Zigarette angesteckt. Die Katharina hat alles mit geschärften Sinnen beobachtet und sich eingebildet, dass die Hände von der Tierärztin ein wenig zittern. Aber man sieht viel, wenn man jemanden ernsthaft verdächtigt.
»Ich nehme an, Sie haben wieder ein paar Ihrer interessanten Fragen parat?«, hat die Hauptverdächtige jetzt mit einer rhetorischen Frage angefangen.
»Möglich«, hat die Katharina geantwortet und ohne Pause hinzugesetzt: »Jetzt hab ich schon gedacht, Sie hätten Besuch, weil da ein zweiter Volvo vor Ihrem Haus steht.« Gleich richtig loslegen. Ohne den Anflug von Unsicherheit oder Angst. Der Guten zeigen, wer hier die Zügel in der Hand hat. Wer hier den Ton angibt. Seit
irgend so ein Pole
hat die Katharina gewusst, dass heute Lügenmärchenstunde angesagt ist bei der Hohenstein.
Aber im Moment war ihr anscheinend nicht richtig nach lügen zumute, mehr so nach ignorieren.
»Was möchten Sie denn noch so wissen, Dienstagabend um zehn?«
»Also, Frau von Hohenstein …« Sie haben beide über den Teich hinweg und über die weitläufige Wiese und die Baumwipfel in den Sternenhimmel geschaut. Ein wirklich wunderschöner klarer Herbsthimmel und noch immer spätsommerlich lau. »Ich hab mir vom Andreas Hafner die Geschichte Ihrer Beziehung erzählen lassen.«
»Ach?«
»Ja, und er hat sie ein klein wenig anders erzählt als Sie.«
Die Tierärztin hat ein bisschen gezögert und dann mit so einem verbissenen und gleichzeitig arroganten Ausdruck boshaft gesagt: »Typisch Andi.«
Und
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