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Holunderküsschen (German Edition)

Holunderküsschen (German Edition)

Titel: Holunderküsschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Gercke
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kann nicht die Polizei anrufen! Du musst , rufe ich mich zur Ordnung. Was soll ich auch sonst tun?
    Nach einer Weile habe ich mich soweit beruhigt, um aufstehen und zu dem Telefon, das auf einem Tischchen im Flur steht, wanken zu können. Ich will gerade die Notrufnummer eintippen, als die Worte, die ich zu dem Polizisten gesagt habe, mir durch den Kopf schießen: „Hier kommt niemand herein, ohne dass wir es merken. Dieses Haus ist besser gesichert als ein Hochsicherheitstrakt.“
    Meine Hand, die noch immer den Telefonhörer hält, sinkt nach unten. Wenn ich jetzt die Polizei anrufe, werden sie denken, ich sei es gewesen.

2
     
    Vielleicht habe ich mich getäuscht! Möglicherweise war es eine Halluzination, hervorgerufen von den Schlaftabletten. Ich muss an die ellenlange Liste der Nebenwirkungen denken, die auf dem Beipackzettel stehen und die ich nicht gelesen habe. Jede Wette, dass Wahnvorstellungen zu den gelisteten Übeln zählen, die einen heimsuchen können, wenn man das Zeug über längere Zeit schluckt. Genau. Das wird es sein.
    Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so darüber freuen kann, unter psychischen Störungen zu leiden. Mit neuem Mut eile ich den Flur entlang. Kann es kaum erwarten, dieses Missverständnis aus der Welt zu räumen. Das hätte ich mir gleich denken können. Nie wieder nehme ich eine Schlaftablette. Nie …
    Verflixt! Noch immer sitzt dieser Fremde, der so blöd war, sich umbringen zu lassen, auf dem Barhocker.
    „Was verdammt noch mal soll ich jetzt tun?“, brülle ich den Toten an. Aber der antwortet mir nicht.
    Mit einem Mal wird mir schwindlig. Mit einem Stöhnen lasse ich mich zu Boden sinken. Irgendwie fehlt mir die Kraft, aufzustehen und das zu tun, was ich tun muss. Die Polizei rufen, erklären, warum ich so tat, als sei alles in Ordnung. Ich konnte ja nicht ahnen, dass tatsächlich jemand in das Haus eingedrungen ist. Die Alarmanlage war eingeschaltet! Das weiß ich genau. Schließlich musste ich sie deaktivieren, bevor ich die Tür öffnete.
    Also hat jemand das Haus betreten und wieder verlassen, der den Code kennt. Und es gibt nur drei Menschen, die ihn kennen, Ron, meine Mutter und ich.
    Ron … oder ich! Einer von uns beiden hat einen Mord begangen, und ich bin mir ziemlich sicher, ich war es nicht. Was nur eine Möglichkeit offenlässt: Ron. Oder meine Mutter hat sich verplappert. Nein. Ausgeschlossen. Meine Mutter mag gesprächig sein, aber den Code würde sie niemals verraten.
    Ich schüttele den Kopf, versuche, diese Gedanken zu vertreiben. Ron ist zu einem Mord genauso wenig fähig wie ich oder meine Mutter. Es muss eine andere Erklärung für all das geben.
     
    Kenne ich diesen Mann überhaupt? Bisher habe ich den Fremden nur aus ein, zwei Metern Entfernung betrachtet. Bin automatisch davon ausgegangen, dass ich nicht weiß, wer er ist. Aber was, wenn das nicht stimmt? Er liegt mit dem Gesicht auf der Theke, es ist also nicht klar zu erkennen.
    Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Taste mich an den Toten heran. Ein Schauer läuft meinen Rücken hinab. Ich habe noch nie zuvor einen toten Menschen gesehen.
    Leiser jetzt, denn ich bin ihm schon sehr nahe.
    Noch leiser. Ich halte die Luft an. Er ist tot, er kann mir nichts mehr tun. Trotzdem fürchte ich mich.
    Noch näher.
    Noch ein bisschen … Und dann stehe ich direkt vor ihm, kann erkennen, dass er blaue Augen hat. Ein schönes, dunkles Blau, das einen ungewöhnlichen Kontrast zu den schwarzen Haaren bildet. Der Mund ist leicht geöffnet, so als hätte er noch etwas sagen wollen.
    Ich habe diesen Menschen noch nie zuvor in meinem Leben gesehen.
    Wie hat nur all das geschehen können, ohne dass ich etwas bemerkte?
    „Was soll ich nur tun?“ Dieses Mal flüstere ich die Worte. Ich schüttele ratlos den Kopf und trete den Rückzug an. Gehe langsam nach hinten, ohne die Augen von dem Toten abzuwenden. So als bestünde die Möglichkeit, dass er sich plötzlich doch noch bewegt. Sich auf mich stürzt, wie man das immer in den Horrorfilmen sieht. Nein. Nicht mit mir. So blöd bin ich nicht, jemandem den Rücken zuzuwenden, der ermordet auf meinem Barhocker sitzt.
    Als mir ein Gedanke kommt, der alles noch schlimmer macht, fährt mir der Schreck wie eine Faust in die Magengrube.
     
    Was, wenn der Mörder noch im Haus ist? Darauf wartet, mich auch noch umzubringen? Ich muss schlucken. Spüre, wie Säure in meiner Kehle hochsteigt.
    Es reicht! Wütend schließe ich die Augen, versuche mich auf das

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