Holunderküsschen (German Edition)
informiere, bin ich mit Sicherheit ihre Hauptverdächtige.
Am liebsten hätte ich mich ein paar Tage mit diesem Problem herumgeschlagen, um mich so lange wie möglich vor einer Entscheidung zu drücken. Aber in diesem Fall muss ich schnell handeln. Was, wenn meine Mutter plötzlich feststellt, dass sie mich vermisst und mir einen Besuch abstattet? Oder eine meiner Freundinnen.
Nein. Das muss sofort erledigt werden, auch wenn ich nicht weiß, wie ich das schaffen soll.
Vielleicht sollte ich doch die Polizei …? Vor meinem inneren Auge läuft eine kurze eindringliche Bilderserie ab. Wie ich in Handschellen abgeführt werde und im Präsidium zu erklären versuche, warum auf der Pistole meine Fingerabdrücke sind.
Ron, der mich besorgt und verzweifelt ansieht, und sagt: „Tamara wäre niemals fähig, einen Menschen zu töten. Niemals!“ Mein Vater in einem Fernsehinterview, wie er bedauernd feststellt, bei der Erziehung seiner Tochter versagt zu haben. Genau wie damals …
Die Erinnerung lässt ein altbekanntes Gefühl in mir hochsteigen: Entschlossenheit. Ich werde nicht zum zweiten Mal in meinem Leben für eine Straftat verantwortlich gemacht werden, die ich nicht begangen habe.
Wie so oft folgt diesem Entschluss sofort der Zweifel. Ich muss verrückt sein. Vollkommen verrückt.
Nachdem ich mich vergewissert habe, dass ich diese absurde Idee umsetzen könnte, falls es nicht eine bessere Lösung gibt, die mir bald einfallen wird, kehre ich ins Haus zurück. Es kann ja nicht schaden, so zu tun, als würde ich den Fremden im Garten vergraben. Das Planen der nächsten Schritte hilft mir dabei, meine Angst einzudämmen. Ich zittere nicht mehr so schlimm wie vorher, habe ein gewisses Maß an Ruhe gefunden. Nicht viel, aber immerhin genug, um nicht heulend in einer Ecke zu sitzen.
Ein wenig gelassener beschließe ich, die Schlösser auswechseln zu lassen. Gerade als ich nach dem Hörer greife, um einen Handwerker anzurufen, zerreißt ein Schrillen die Stille. Mein Herz macht einen Satz.
„Es war nur das Telefon. Das verdammte, blöde Telefon“, sage ich laut, um das rasende Herzklopfen in meiner Brust zu beruhigen. Mist! Ich kann meine Zeit nicht mit belanglosen Telefonaten verschwenden. Trotzdem nehme ich das Gespräch entgegen, als ich die Nummer im Display sehe. Meine Mutter.
„Tamara. Warum rufst du mich nicht zurück? Ich wollte dir Bescheid sagen, dass ich ganz wundervolle Vorhänge entdeckt habe. Ich bringe dir nachher ein paar Stoffmuster vorbei“, ertönt ihre Stimme, kaum dass ich „Hallo“ gemurmelt habe.
Nachher? Wann nachher?
Hastig versuche ich, diese Idee im Keim zu ersticken: „Du kannst heute nicht vorbeikommen!“
„Aber warum denn nicht? Ich bin schon auf dem Weg.“
„Du bist schon auf dem Weg?“ Ich muss mich zusammenreißen, um nicht in den Hörer zu brüllen. „Das geht nicht. Ich bin schon so gut wie weg. Ich habe den ganzen Tag Termine. Morgen kannst du kommen oder übermorgen“, oder nächste Woche , setze ich in Gedanken hinzu.
„Das ist doch kein Problem, Schatz. Ich schaue nur schnell bei dir vorbei, um zu sehen, ob die Stoffe passen. Da musst du ja nicht dabei sein.“
„Nein!“
„Was ist denn heute los mit dir?“
„Ich … Ich bin etwas im Stress. Unsere Putzfrau kommt gleich, später muss ich mit dem Caterer das Menü besprechen, und der Innenausstatter will, dass ich mir irgendwelche italienische Fliesen ansehe.“ Die Liste könnte ich endlos fortsetzen, aber so langsam geht mir der Atem aus.
„Es ist ohnehin besser, wenn ich bei diesen Gesprächen dabei bin“, stellt meine Mutter fest.
Verdammter Mist . Verzweifelt suche ich nach einer Erklärung, die meine Mutter davon abhält, mir bei diesen wichtigen Verhandlungen hilfreich zur Seite zu stehen. Andererseits habe ich gestern Abend beschlossen, mir nichts mehr gefallen zu lassen, also werde ich sie mit der Wahrheit konfrontieren. Sie muss sich in Zukunft aus meinem Leben heraushalten, wenn es um solche Entscheidungen und meine Hochzeit geht. Und dann wäre da noch die Leiche, die sie auf keinen Fall entdecken darf …
„Lieber nicht. Das ist wirklich furchtbar nett von dir, aber ich habe zwischendrin einen Frisörtermin und muss danach kurz bei Nigel vorbei. Er will, dass ich bei ihm in der Galerie anfange, sobald wir aus den Flitterwochen zurück sind.“ Immerhin. Das war doch schon ein Anfang. Wenigstens habe ich NEIN gesagt … irgendwie.
„Also gut. Wenn du meinst.“ Wie immer
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