Holunderküsschen (German Edition)
ist es ja gut. Tut mir leid, dass wir Sie gestört haben.“ Der Polizist sieht mich zweifelnd an, aber ich rühre mich nicht von der Stelle. Die Zwei lasse ich nur dann herein, wenn sie einen Durchsuchungsbefehl haben. Anscheinend sieht man mir die Entschlossenheit an, denn nach einigen Sekunden tippt er sich an die Mütze und dreht sich um.
Sie sind weg! Mit einem lauten Seufzer schließe ich die Tür und lehne mich mit dem Rücken an die Wand. Mein Herzschlag beruhigt sich. Nähert sich einem Tempo, das man fast als normal bezeichnen könnte.
Vor einigen Jahren hatte ich ziemlich oft Probleme mit der Polizei. Damals war ich politisch aktiv und habe mich für Umweltschutz, eine gerechtere Schulpolitik und die Dritte Welt engagiert. Aber das brachte mir nichts als Ärger mit den Gesetzeshütern und meinem Vater ein. Wie ein Gedankenblitz sehe ich diese eine vorübergehende Verhaftung wieder vor mir, die damals für ziemlich viel Wirbel in den Medien gesorgt hat.
Das für sich allein genommen wäre nicht so schlimm gewesen. Wirklich übel war, dass meine Mitstreiter mit einem Mal begannen, mich wie eine Außenseiterin zu behandeln, nachdem sie durch die Medienberichterstattung herausfanden, wie wohlhabend meine Eltern sind. Plötzlich war ich das reiche Mädchen, das sich aus Langeweile politisch engagiert.
Dabei war es nicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich mit dieser Meinung konfrontiert wurde. Schon in der Schule lehnten mich Klassenkameraden nur deshalb ab, weil meine Familie Geld hat. Ich dachte allerdings, ich hätte im Laufe der Jahre gelernt, mit solchen Vorurteilen umzugehen.
Und dann war da noch mein Vater, auf dessen Reaktion auf meine Verhaftung ich nicht vorbereitet war. Dabei hätte ich es wissen müssen. Mit einem Ruck stoße ich mich von der Wand ab, versuche alle Gedanken an ihn aus meinem Kopf zu vertreiben. Noch immer fühlt sich sein damaliges Verhalten wie ein Verrat an.
Kaffee! Ich brauche unbedingt Koffein, um den unglücklichen Start in diesen Tag zu korrigieren. Mit diesem Gedanken setze ich mich in Bewegung und gehe den langen Flur entlang, Richtung Küche.
Leider komme ich nicht mehr dazu, meine Absicht in die Tat umzusetzen, denn an der Esstheke, die die Küche vom Wohnraum abtrennt, sitzt jemand.
Mit einem erschreckten Ausruf bleibe ich stehen, als ich den Fremden sehe. Wer ist das? Und vor allem, was hat er hier zu suchen?
Der Eindringling beachtet mich nicht, was nicht weiter verwunderlich ist, denn er scheint zu schlafen. Sein Kopf liegt in einer seltsamen Position auf der glatt polierten Oberfläche der Theke. Und dann ist da noch etwas …
Ein dunkler Fleck, der sich deutlich auf seinem hellen Jackett abzeichnet. Ich kenne diese rostrote Farbe, versuche trotzdem, eine plausible Erklärung dafür zu finden. Vielleicht hat er an einer schmutzigen Wand gelehnt und nicht gemerkt, dass er das Kleidungsstück besser in die Wäsche tun sollte. Vielleicht … ist er tot?
Er sieht aus, als sei er tot. Sehr tot.
Ich mache einen zögerlichen Schritt auf den Mann zu.
„Geht es Ihnen nicht gut?“ Meine leisen Worte verlassen nur zaghaft meine Lippen; er hat sie bestimmt nicht gehört. Mit einem Räuspern versuche ich es noch einmal. „Hallo? Sind Sie wach?“
Blöde Frage. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der weniger wach aussah. Um nicht zu sagen, noch lebloser. Dann bemerke ich sein Auge. Es blickt starr geradeaus an die Decke, so als sei da oben etwas Faszinierendes zu sehen. So faszinierend, dass er seinen Blick nicht davon losreißen kann.
Schweißtropfen treten auf meine Stirn. Kalter Schweiß. Mein Herz fängt an zu rasen, und ich merke, wie ich zu hyperventilieren anfange, denn eines ist klar: Meine erste Vermutung war richtig. Der Fremde, der irgendwie in unser Haus eingedrungen ist, ist nicht nur tot. Nein, das traf ihn unfreiwillig. Es sei denn, er hätte selbst ein kreisrundes Loch in die Rückseite seines Jacketts geschnitten. Ein Jackett, das voll Blut ist.
In dem Versuch, mich zu beruhigen, schließe ich die Augen. Probiere einige tiefe Atemzüge. Keine Chance. Ich bin froh, dass ich es überhaupt schaffe, Luft in meine Lungen zu zwängen. Ich muss die Polizei anrufen. Genau! Nachdem ich damals nicht wegen Körperverletzung eingebuchtet wurde, schaffe ich es dieses Mal vielleicht, wegen Mordes ins Gefängnis zu kommen.
Allein der Gedanke an ein Verhör führt dazu, dass meine Beine wegknicken wie dürres Laub. Ich kann das nicht! Ich
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