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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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Sie sah auf den See, dessen Wellen verlockend plätscherten. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, es schickt sich nicht für eine schwangere Frau, sich zu entblößen. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob es meinem Kind nicht schadet, wenn ich mich plötzlich in kaltes Wasser lege. Womöglich schaden die Seegeister ihm …«
    »Als ob es Geister gäbe! Das glaubst du doch nicht im Ernst«, erklärte Hemma entrüstet. »Ich bin mir sicher, dass die Erfrischung euch beiden guttut. Geh doch wenigstens bis zu den Knien ins Wasser. Thegan sagt immer wieder, dass ihn das Wasser geheilt hätte – und sogar Walahfrid scheint ihm zuzustimmen. Es gab wohl schon im alten Griechenland einen Arzt, der die Segnungen des Wassers gepriesen hat.«
    »Und was ist mit den Griechen geschehen? Ihr Weltreich ist untergegangen!«, erklärte Rothild. Trotzdem stand sie auf, raffte ihre Röcke und ging in den See, bis ihr das Wasser über die Knie reichte. Verzückt jubelte sie auf. »So lässt sich der Sommer wirklich aushalten!«
    Wenig später leistete Hemma ihr Gesellschaft, und die beiden Freundinnen spritzten sich Wasser ins Gesicht, bis ihre Kleider mehr nass als trocken waren. Irgendwann erklärte Rothild mit einem Blick auf den Stand der Sonne: »Ich muss zurück zu meiner Familie. Sie werden glauben, dass ich mich verlaufen habe! Bald ist Zeit fürs Abendessen.«
    »Kaum. Wir leben auf einer Insel, da kann man sich nicht verlaufen, schon vergessen?«, erwiderte Hemma. »Und ich hoffe doch sehr, dass dein Gemahl deinem Sohn wenigstens einen Kanten Brot geben kann!«
    Da fing die Vesperglocke an zu läuten, und auch Hemma stapfte aus dem Wasser. »Du hast recht. Ich sollte mich um meinen Vater kümmern! Ich will zu seiner schlechten Laune nicht noch mehr beitragen.«
    Auf dem Heimweg schwiegen die beiden Freundinnen und hingen ihren Gedanken nach. Die Unbeschwertheit des Sommertages konnte kaum darüber hinwegtäuschen, dass über ihnen ein Schatten lastete. Sie trennten sich erst kurz vor Routgers Haus. Hemma nahm ihre Freundin in den Arm. »Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut gehen, das spüre ich.«
    Rothilds Gesicht verzog sich zu einer ulkigen Grimasse. »So meine ich es ja gar nicht. Ich habe nur Angst vor den Schmerzen, das ist alles. Wenn es da ein besseres Mittel geben würde, wäre ich beruhigt. Und ich traue der Hebamme nicht. Sie sagt mir immer wieder, dass alles in bester Ordnung ist. Das hat sie nur leider auch schon beim letzten Mal gesagt …« Sie brach mitten im Satz ab. »Aber was rede ich. Du bist diejenige, um die wir uns Sorgen machen müssen. Und du bist immer so fröhlich, so heiter. Als ob dir nichts passieren könnte.«
    »Es ist nur die Heiterkeit der Ahnungslosen«, meinte Hemma lächelnd. »Ich habe schließlich deine Schmerzen noch nicht durchlitten und habe keine Ahnung, was da auf mich zukommt. Da fällt es mir natürlich leichter, zuversichtlich zu sein!«
    Sie winkten sich noch ein letztes Mal zu und gingen dann jede ihrer Wege. Hemma sah ihrer Freundin nachdenklich hinterher. Rothild bewegte sich schwerfällig, und auf dem kurzen Weg in die Klosterstadt waren ihre Fesseln bereits wieder angeschwollen. Das leichtfüßige Mädchen, das sie noch vor wenigen Monaten gewesen war, konnte man jetzt nicht mehr erkennen.
    Mit einem Kopfschütteln wandte sich Hemma zur Tür. Sie verbot sich, allzu lange über die Mühen der Geburt nachzudenken. Es war der Fluch Evas, und sich darüber zu beschweren war so sinnvoll wie die Klage über das Wetter. Es veränderte nichts.
    Als die Tür aufschwang, hielt sie für einen Moment die Luft an. Im Raum standen Thegan und ihr Vater.
    Routger sah seine Tochter an. »Du kommst gerade recht. Dein Galan hier hat um deine Hand angehalten.«
    Hemma spürte, wie ihr vor Freude ganz warm wurde. Sie lief zu Thegan und umarmte ihn. »Das hast du getan? Das ist wunderbar!«
    »Warum sollte ich ihn in deine Hand geben?«, fuhr ihr Vater sie an. »Kannst du mir einen einzigen vernünftigen Grund nennen? Er ist dein Verderben, auch wenn du das bis heute nicht wahrhaben möchtest.«
    »Aber warum gönnst du mir denn mein Glück nicht?«, rief Hemma. »Was, wenn ich wirklich nur noch wenige Monate auf dieser Erde zubringen kann? Sollte ich in dieser Zeit dann nicht möglichst glücklich sein, meinst du nicht?«
    Thegan blickte ernst auf Routger hinunter. »Ich möchte deine Tochter zu einer ehrbaren Frau machen, ungeachtet des Willens meines Vaters, der sicher eine andere

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