Holundermond
zwischen ihnen verändert hatte. Dass da etwas gewesen war zwischen ihnen, das es nun nicht mehr gab.
Sicher, sie hatten auch früher schon miteinander gestritten, waren nicht immer einer Meinung gewesen. Aber egal, wie schlimm ihr Streit auch gewesen war, sie hatten sich immer wieder versöhnt. Jan war für Nele ein Fels in der Brandung gewesen, jemand, auf den sie sich immer verlassen konnte. Dieses Gefühl war weg, und Nele konnte nicht erklären, wohin es sich verflüchtigt hatte. Sie sah Jan dort stehen. Er schaute zu ihr herüber und zum ersten Mal sah sie ihn nicht einfach als einen Teil ihrer Welt. Zum ersten Mal begriff sie, dass er auch losgelöst von ihr existierte, mit einem eigenen Weg, den er gehen wollte, mit eigenen Ideen und eigenen Träumen. Und sie erkannte, dass seine Ideen und Träume nicht unbedingt ihre Träume sein mussten.
Nele nippte an dem heißen Getränk. Der süße dunkle Tee aus Holunderbeeren erinnerte sie an ihren ersten Abend in der Pension. Er lag erst wenige Tage zurück, und doch fühlte es sich an, als seien Jahre seitdem vergangen.
Es war Jan, der sich als Erster aus seiner Starre löste. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er auf sie zukam. Und da spürte Nele, dass sie Jan so liebte, wie er war – mit all seinen Ideen und Träumen und Plänen, von denen er ihr immer erzählte. Und sie fühlte, dass sie ihn auch lieben konnte, wenn er einmal nicht bei ihr war. Das, was sie miteinander verband, trug sie in ihrem Herzen mit sich.
Nele machte sich von Flavio los und ließ sich von ihrem Vater in die Arme schließen. Er zog sie fest an sich, und es war, als wäre sie ihm noch nie so nah gewesen.
Nach einer Weile löste sich Nele aus der Umarmung und schaute Jan an. »Der Mönch …«, flüsterte sie.
Jan küsste ihr Haar. »Er kann dir nichts mehr tun. Er ist verschwunden. Und Viviane hat das Gemälde für alle Zeit verschlossen.«
»Aber warum ist er …« Langsam kam die Erinnerung zurück an das, was geschehen war, aber sie fand keine Worte dafür.
Jan strich ihr beruhigend mit der Hand über den Kopf. »Vivianes Bruder hatte sich gegen die Hüter der Zeit entschieden. Er wollte auf der Seite des Bösen kämpfen. Den einzigen Schutz vor ihm boten Kirchen. Geweihte Kirchen«, fügte er hinzu, als er Neles ungläubigen Blick sah.»Der schwarze Mönch, wie er sich selbst gerne nannte, konnte vieles. Er konnte durch die Zeit reisen und Menschen durch das Gemälde beobachten, er konnte Menschen manipulieren, bis sie bereit waren, ihm zu dienen, so wie es Holzer tat. Aber er konnte keine Kirchen betreten. Deshalb konnte er sich auch nicht selbst die Gegenstände besorgen, sondern brauchte dafür einen Handlanger. Als er erkannte, dass wir dabei waren, ihm zu entkommen, vergaß er für einen kurzen Moment dieses Handicap, und als er hier in dieser Kirche landete, löste er sich einfach auf. Er zerfiel zu Staub.«
»Aber wir waren doch die ganze Zeit in einer Kirche«, wandte Nele ein.
Jan nickte. »Ja, aber sie wird erst seit Kurzem wieder als Gotteshaus benutzt. Vergiss nicht, lange wurde sie von der Stadt Wien zum Seuchenhaus umfunktioniert.«
Nele drehte den Kopf und schaute zu Viviane. »War er wirklich dein Bruder?«, fragte sie leise.
Viviane nickte und eine tiefe Traurigkeit sprach aus ihrem Blick.
Der schwarze Mönch hatte gesagt, Viviane sei selbst durch die Zeit gereist.
Was wollte sie hier? Hatte ihr Bruder recht und sie hatte es genauso wie die anderen nur auf die vier Gegenstände abgesehen?
Viviane hatte ihre Farben weggepackt und war zum Altar gegangen. Dort fing sie an, etwas liebevoll in ein Stück Tuch einzuschlagen. Nele schaute von Jan zu Flavio,aber außer ihr schien niemanden zu interessieren, was Viviane dort tat.
»Aber das ist doch …« Nele fasste Flavio an der Hand und zog ihn zum Altar. »Das ist doch das Flammenschwert! Wie kommt das hierher? Ich dachte, Giovanni …?«
Flavio kniff Nele in den Arm.
»Aua! Was soll das?«
Flavio lachte. »Du siehst schon ganz richtig, aber ich kneif dich auch gerne noch mal. Das ist das Flammenschwert des Erzengels Michael. Und Jan wird es jetzt wieder dorthin zurückbringen, wo es hingehört.«
Neles Vater war inzwischen neben Viviane getreten und nahm ihr behutsam das Paket aus dem Arm. »Ich bin schon unterwegs. Noch bevor die ersten Gläubigen zum Beten in die Kirche kommen, ist das Schwert wieder an seinem Platz. Niemand wird je erfahren, dass es verschwunden war.«
Nele konnte
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