Homicide
als angenehme Abwechslung.
In der Kaserne der Bundespolizei gelang es dem Fish Man, bei jeder Schlüsselfrage zu dem Mord die Nadel des Lügendetektors hochschnellen zu lassen. Das Ergebnis des Tests war als Beweismittel natürlich nicht zugelassen. Außerdem hielt keiner der Mordermittler diese Art der Aussagenüberprüfung für exakte Wissenschaft. Dennoch wurde der Kerl für Pellegrini immer verdächtiger.
Hinzu kam, dass ein unerwarteter, wenn auch nicht unbedingt glaubwürdiger Zeuge aufgetaucht war – ein Kiffer und fragwürdiger Charakter. Er war vor sechs Tagen im Western District wegen Körperverletzung festgenommen worden und hatte bei seiner Einlieferung versucht, gute Stimmung zu machen, indem er erklärte, er wisse, wer Latonya Wallace umgebracht habe.
»Und woher?«
»Weil er es mir gesagt hat.«
Pellegrini fuhr noch am gleichen Tag zum Western District. Dort wurde ihm geschildert, wie sich zwei alte Bekannte im Westen der Stadt in einer Kneipe zu einem Drink getroffen hatten. Der eine berichtete dann, er sei kürzlich von der Polizei abgeholt worden, um zu dem Mord an einem Mädchen vernommen zu werden, worauf sich der andere erkundigte, ob er das Verbrechen begangen habe.
»Nein«, sagte der erste.
Doch später am Abend, als der Schnaps seine Wirkung zeigte, wandte er sich an seinen Kumpel und meinte, er wolle jetzt die Wahrheit sagen. Er habe das Mädchen umgebracht.
Obwohl der neue Zeuge mehrfach vernommen wurde, blieb er bei seiner Darstellung. Er kenne den Mann, mit dem er getrunken hatte, seit Jahren. Er hat ein Geschäft in der Whitelock Street, einen Fischladen.
Und so hatten sie für den übernächsten Tag einen zweiten Polygrafentest angesetzt.
Pellegrini lehnt sich in seinem Auto zurück und liest das Vernehmungsprotokoll des neuen Zeugen in einer Mischung aus Hoffnungund Zweckpessimismus. Er ist überzeugt, dass auch dieser Mann den Lügendetektor in zwei Tagen zum Zittern bringen und ebenso miserable Ergebnisse liefern wird wie der Fish Man – weil seine Geschichte zu perfekt, zu wertvoll ist, um wahr zu sein. Ein Kneipenbekenntnis, denkt Pellegrini, wäre fast zu einfach für diesen Fall.
Außerdem wird er den neuen Zeugen schon bald in einer eigenen Akte als Verdächtigen führen. Nicht nur, weil es ungewöhnlich ist, einen anderen bereitwillig mit einen Kindermord zu belasten, sondern auch, weil er das Gebiet in Reservoir Hill gut kennt und bereits polizeilich erfasst ist. Wegen Vergewaltigung. Mit einem Messer. Nein, so einfach ist es leider nicht, denkt Pellegrini noch einmal.
Pellegrini schließt die Akte mit den Protokollen und wendet sich seinem Entwurf zu. Es handelt sich um ein vierseitiges Memo, in dem er dem Captain den Ermittlungsstand des Falls beschreibt und sich für eine komplette und ausführliche Sichtung des vorhandenen Materials einsetzt. Da sie weder den Tatort kennen noch über stichhaltige Spuren verfügen, erscheine es ihm kaum angeraten, sich auf einen konkreten Verdächtigen zu konzentrieren, um ihn der Tat zu überführen.
»Auch wenn diese Vorgehensweise unter bestimmten Bedingungen Erfolg haben mag«, heißt es in dem Text, »gilt das nicht für einen Fall, in dem greifbare Spuren fehlen.«
Stattdessen spricht er sich für eine sorgfältige Sichtung der gesamten Akte aus:
Da diese Daten von nicht weniger als zwanzig Officers und Detectives einer Sonderkommission zusammengetragen wurden, können wir nicht ausschließen, dass es aussagekräftige Informationen gibt, die noch nicht ausgewertet wurden. Daher möchte ich mich dafür aussprechen, die Zahl der Mitarbeiter an diesem Fall auf den leitenden und den zweiten Ermittler zu begrenzen.
Einfacher ausgedrückt: Pellegrini bittet um mehr Zeit und möchte bei seiner Arbeit an dem Fall allein bleiben. Sein Memo ist klar, kurz und bündig und dennoch in einer Behördensprache verfasst, die in jedem Vorgesetzten über dem Rang eines Lieutenant warme, wohlige Schauer wachruft. Aber es könnte noch besser sein, und um mehr Zeit zu bekommen,den Fall gründlich zu überarbeiten, braucht er den Captain auf seiner Seite.
Pellegrini entfernt die Klammer auf der Vorderseite und legt den Entwurf auf seinen Schreibtisch. Besser, er widmet ihm noch eine weitere Stunde an der Schreibmaschine. Rick Requer hat allerdings etwas anderes vor. Beim Verlassen des Büros macht er sich bemerkbar, legt die hohle Hand an den Mund und beugt sich nach hinten – das altbekannte Zeichen, das überall auf der Welt für
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