Homicide
Autoschlüssel aus der Hosentasche. »Weißt du, was ich meine, Alter?«
Pellegrini nickt. Er lächelt und nickt noch einmal, sagt aber nichts.
Freitag, 8. April
»Brown, du bist ein Stück Scheiße.«
»Sir?«
»Ich habe dich ein Stück Scheiße genannt.«
Dave Brown hebt den Blick von der neuesten Ausgabe des
Rolling Stone
und seufzt. Donald Worden ist auf dem Kriegspfad, und das lässt nichts Gutes ahnen.
»Gib mir einen Quarter«, sagt Worden, während er ihm die Hand entgegenstreckt.
»Mensch«, erwidert Brown, »ich sitze hier an meinem Schreibtisch und lese eine Illustrierte …«
»Eins von diesen Kunstmagazinen«, unterbricht ihn Worden.
Brown schüttelt müde den Kopf. Auch wenn seine letzten Werke nichts anderes waren als tote Strichmännchen auf einer Tatortskizze, so hatte David John Brown doch wirklich das Maryland Institute of Art besucht. Ein Grund für Worden, um seine Fähigkeiten als Mordermittler infrage zu stellen.
»… ein Magazin über Rockmusik und Jugendkultur«, fährt Brown fort. »Ich störe niemanden, und dann kommst du rein und nennst mich eine Fäkalie.«
»Fäkalie. Was soll das schon wieder heißen? Ich war nicht auf dem College. Ich bin nur ein dummer armer Junge aus Hampden.«
Brown verdreht die Augen.
»Gib mir ’nen Quarter, Kleiner.«
Dieses Spiel wiederholt sich, seit Dave Brown im Morddezernat ist. Wieder und wieder fordert Worden von jüngeren Detectives ein 25-Cent-Stück ein, das er dann einfach in die Tasche steckt. Er trägt es nicht zu den Snackautomaten im Erdgeschoss, er spendet es nicht der Kaffeekasse – für ihn ist das Geld schlicht und einfach ein Tribut. Brown wühlt in seiner Tasche, dann wirft er dem Älteren einen Quarter zu.
»Was für ein Stück Scheiße«, wiederholt Worden, während er die Münze auffängt. »Warum sorgst du nicht dafür, dass du ein paar Einsätze kriegst?«
»Ich habe gerade einen Mord bearbeitet.«
»Ach ja?« Worden stolziert zu Browns Schreibtisch. »Dann bearbeitest du jetzt das hier.«
Der Big Man stützt sich auf die Platte und beugt sich nach vorn, bis er seine Leistengegend in den Bereich von Browns Mund geschoben hat. Brown schreit in gespieltem Entsetzen auf, worauf Terry McLarney hereingeschossen kommt.
»Sergeant McLarney, Sir!«, ruft Brown. Worden liegt jetzt schon fast auf ihm. »Detective Worden nötigt mich zu gesetzeswidrigen sexuellen Handlungen. Ich ersuche Sie als meinen Vorgesetzten …«
McLarney grinst, salutiert und wendet sich auf dem Absatze um. »Weitermachen«, sagt er und kehrt ins Hauptbüro zurück.
»Runter von mir, verdammt!« Brown hat allmählich die Nase voll. »Lass mich, du perverser Eisbär.«
»Ooohhh«, schreit Worden. »Jetzt weiß ich, was du wirklich von mir hältst.«
Brown sagt nichts. Er würde sich gern wieder mit der Zeitschrift befassen. Aber der Big Man lässt das nicht zu. »Du … du kleines Stück…«
Brown funkelt den Älteren an. Seine rechte Hand fährt verstohlen zu seinem Schulterhalfter, in dem eine 38er mit langem Lauf steckt. »Vorsicht«, sagt er. »Ich habe heute meine große Kanone dabei.«
Kopfschüttelnd schlendert Worden zum Garderobenständer und sucht nach seinen Zigarren. »Wieso sitzt du überhaupt hier mit dieser bescheuerten Zeitschrift, Brown?«, fragt er, während er sich eine Zigarre anzündet. »Warum bist du nicht draußen und befasst dich mit Rodney Tripps?«
Rodney Tripps. Ein Drogendealer, der tot auf dem Fahrersitz seines Luxusschlittens saß. Keine Zeugen. Keine Verdächtigen. Keine Spuren. Womit, verdammt, soll er sich also befassen?
»Anscheinend bin ich hier nicht der Einzige mit offenen Fällen.« Brown ist inzwischen leicht genervt. »Ich sehe in deiner Spalte einen Haufen rot geschriebener Namen.«
Worden antwortet nicht, und einen Moment lang wünscht sich Brown, er könnte die beiden letzten Sätze zurücknehmen. Die Neckereien im Büro fallen immer etwas rau aus, doch hin und wieder überschreiten sie eine Grenze – Brown weiß nur zu gut, dass sich der Big Man zum ersten Mal seit drei Jahren mit zwei ungelösten Fällen in Folge abquält, zumal in den elenden Ermittlungen zum Fall Monroe Street auch kein Land in Sicht ist.
Dieser Umstand hat zur Folge, dass Worden Tag für Tag ein paar von den zwei Dutzend Zeugen vor die Grand Jury im ersten Stock des Mitchell-Gerichtsgebäudes scheucht. Er wartet vor der Tür, während sich Tim Doory, der leitende Staatsanwalt, nach Kräften bemüht, Licht ins Dunkel des
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