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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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zur Zelle im Keller geführt. Auf McLarneys Höhe angekommen, grinst er höhnisch.
    »Ja, grins du nur«, brummt McLarney. Er muss all seine Beherrschung aufbieten. »Wenn du …«
    Gersh zieht McLarney fort. »Ich glaube, wir haben den Fall in der Tasche«, meint der Staatsanwalt. »Es wird vielleicht ein paar Stunden dauern, aber ich glaube, wir haben ihn. Wie fanden Sie unser Schlussplädoyer?«
    McLarney beachtet ihn nicht. Er blickt noch immer Butchie Frazier und den zwei Wachmännern nach, die ihn die Treppe hinunterführen.
    »Kommen Sie«, sagt Gersh und tippt McLarney an die Schulter. »Gehen wir zu Gene.«
    Cassidy hat sich bereits auf die Wartezeit eingerichtet. Er sitzt neben seiner Frau, seiner Mutter und seinem älteren Bruder in einem Nebenzimmer des Verhandlungssaals. Die Familie ist jetzt von anderen Polizisten aus dem Western umringt, die gerade ihre Tagschicht beendet haben und ihrem Kollegen bereits zu dem erwarteten Sieg gratulieren. Und Gersh und Schenker nehmen im Flur schon Glückwünsche von Zuschauern entgegen. Als es dunkel wird, organisieren zwei vom Western eine Pizza.
    »Gene, was willst du drauf haben?«
    »Ist mir egal. Hauptsache, es sind Sardellen dabei.«
    »Wie heißt der Laden noch mal?«
    »Marco’s. An der Exeter Street.«
    »Wir bestellen am besten gleich«, sagt einer der Uniformierten lächelnd. »Lange hängen wir hier bestimmt nicht mehr rum.«
    Ungefähr eine Stunde lang herrscht ungeteilte Zuversicht. Eine Stunde lang erzählen sie sich lachend Anekdoten aus dem Streifendienst in den Straßen des Western District, Geschichten, die irgendwieimmer damit enden, dass einer in Handschellen abgeführt wird. Und als sie glauben, dass der Urteilsspruch nicht mehr lange auf sich warten lässt, rufen sie sich noch einmal die besten Passagen des Schlussplädoyers und Details von Genes Aussage ins Gedächtnis.
    Doch ihr Optimismus erhält einen Dämpfer, als sie erfahren, dass man an der Tür vom Gerichtssaal heftige Auseinandersetzung hören kann, die nur von den Geschworenen im Raum darüber stammen können. Hin und wieder dringen die lautesten Stimmen sogar bis zu dem Raum vor, in dem Gene Cassidy und seine Angehörigen zwischen leeren Pizzaschachteln und Styroporbechern sitzen. Die Stimmung sinkt augenblicklich.
    Zwei Stunden verstreichen, es werden drei. Noch immer wird im Beratungsraum gestritten, und das Warten wird zur Qual.
    »Mir fehlen die Worte, Gene«, erklärt Gersh mutlos. »Ich habe mein Bestes gegeben, aber ich fürchte, es war nicht genug.«
    Nach vier Stunden erhalten sie lediglich die Nachricht von der Sprecherin der Geschworenen, dass die Beratungen hoffnungslos festgefahren sind. Bothe liest den Staatsanwälten die Mitteilung vor, dann ruft sie die Geschworenen nach unten und erteilt ihnen die in solchen Fällen übliche Belehrung. Die Geschworenen sollen sich, sobald sie wieder in ihrem Raum sind, nach besten Kräften um einen Urteilsspruch bemühen.
    Wieder laute Auseinandersetzungen.
    »Eine Schande ist das«, sagt Corey Belt. »Nicht zu fassen.«
    Zweifel schnüren ihnen die Kehle zu, als eine der Geschworenen so laut wird, dass man es noch ein Stockwerk tiefer an der Treppe hört. Die lügen doch immer, ruft eine Geschworene, dann müssen Sie mich eben überzeugen!
    Die? Wer soll das sein? Die Polizisten? Die Zeugen? Die Angeklagten? Da Butchie keine Aussage gemacht hat, kann sie ihn wohl kaum meinen. Wen also dann? Als McLarney durch einen Gerichtssekretär davon erfährt, hat er sofort die Geschworene Nummer neun vor Augen, die beim Schlussplädoyer durch Gerth hindurchzusehen schien. Sie ist es, die da schreit, denkt er. Verdammt, das kann nur sie sein.
    McLarney schluckt. Er lässt die anderen allein und zieht sich auf denGang zurück und tigert wütend auf und ab. Es war nicht genug, denkt er. Die Geschworenen gehen mir von der Fahne, weil ich ihnen nicht genug vorgelegt habe. Eine Augenzeugin. Andere Zeugen, die ihre Aussage stützen. Ein Geständnis gegenüber einem Zellengenossen. All das hat nicht gereicht. Je weiter der Abend fortschreitet, desto schwerer fällt es McLarney, Gene gegenüberzutreten. Irgendwann gesellen sich Kollegen vom Western zu ihm und trösten ihn, dass es doch egal sei, wie es ausgehe. »Wird er schuldig gesprochen, geht er in den Knast«, sagt ein Uniformierter, der unter McLarney in Sector 2 gedient hat. »Wenn nicht, geht er wieder raus auf die Straße.«
    »Und wenn er wieder in den Western District zurückkommt, ist er

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