Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
Vom Netzwerk:
nicht verhandelbar sind.
    Im Verfahren gegen Butchie Frazier kam ein Deal nicht infrage – jedenfalls nicht mit einem Strafmaß, das Butchies Verteidiger guten Gewissens akzeptieren konnte. Die Staatsanwälte Gersh und Schenker, die gemeinsam mit dem Fall befasst waren, hatten fünfzig Jahre angeboten, wohl wissend, dass die Höchststrafe bei versuchtem vorsätzlichem Mord und Verstoß gegen das Waffengesetz lebenslang plus zwanzig betrug, was auf etwa achtzig Jahre hinauslaufen würde. Angesichts der üblichen Bewährungsrichtlinien von Maryland würde die Differenz für Butchie letztlich nicht mehr als etwa fünf Jahre betragen. Einem Berufsgangster wie ihm brauchte man mit so was nicht zu kommen. Wenn jemand wie Butchie Frazier die Staatsanwälte zweistellige Zahlen nennen hört, kriegt er glasige Augen.
    So wurde der Fall nun einer zwölfköpfigen Jury vorgelegt: elf Frauen und ein Mann, neun Schwarze und drei Weiße. Es war eine ziemlich typische Zusammensetzung für diese Stadt, und wenn man auch sonst nicht viel über die Geschworenen sagen konnte, so hatten sie es doch immerhin geschafft, während der Darlegung des Falles durch die Anklage wach zu bleiben – keine geringe Leistung, wenn man bedenkt, wie häufig es vorkommt, dass ein Richter einen Gerichtsdiener bitten muss, einen Geschworenen anzustupsen, um ihn aufzuwecken.
    Die Geschworenen waren sofort fasziniert von Yolanda Marks, die von Wut und Angst geschüttelt im Zeugenstand saß. Immer wieder hatte Yolanda versucht, in den Gesprächen mit den Staatsanwälten vor der Hauptverhandlung ihre vor der Grand Jury gemachten Aussagen zurückzunehmen. Im Gerichtssaal nun gab sie Schenker frostige, einsilbige Antworten, häufig unter Tränen. Dennoch schilderte sie, was in der Appleton Street passiert war, während der wenige Schritte entfernt sitzende Butchie sie böse anfunkelte.
    Auf Yolanda folgten die anderen Zeugen, darunter McLarney, der schilderte, wie es am Tatort ausgesehen hatte, und Gary Tuggle, einer der beiden Officers der Sonderkommission, der einen Bericht über den Verlauf der Ermittlung ablieferte. Die Aussage des attraktiven jungenSchwarzen war eine wichtige Botschaft an die mehrheitlich schwarzen Geschworenen. Als stiller Hinweis darauf, dass das Justizsystem nicht ausschließlich von Weißen bestimmt wurde, schuf er einen gewissen Ausgleich zu der Tatsache, dass mit Butchie Frazier ein Schwarzer vor Gericht stand. Anschließend sagte das Paar aus, das von der Bar an der Ecke Richtung Süden auf der Appleton Street unterwegs gewesen war. Beide bestätigten Yolandas Aussage, gaben jedoch an, aufgrund der großen Entfernung den Schützen nicht identifizieren zu können.
    Zuletzt brachte man den Jungen aus dem Stadtgefängnis herein. Er war gleichfalls wegen Mordes angeklagt und während der Untersuchungshaft mit Butchie in einen Streit geraten. Butchie hatte ihm von der Schießerei erzählt und dabei Einzelheiten geschildert, die nur der Schütze wissen konnte.
    »Was hat der Angeklagte sonst noch gesagt?«, fragte Schenker.
    »Dass der Polizist ihm dumm gekommen ist. Da hat er die Kanone gezogen und ihm in den Kopf geschossen. Er wünschte, er hätte das Schwein getötet.«
    Das Schimpfwort hing in der Luft. Es hallte eine Weile durch den Gerichtssaal, dann sank es herab auf das Publikum, das totenstill dasaß. Ein junger Mann, blind für den Rest seines Lebens, mal eben so in den Schmutz gezogen von dem Mann, der ihn niedergeschossen hatte. Cassidy. Nichts als ein Schwein.
    Gary Schenker schwieg einen Moment lang, um das noch ein wenig wirken zu lassen. Zwei der Geschworenen schüttelten den Kopf, und Bothe hielt sich die Hand vor den Mund. Gefragt, ob ihm für diese Aussage ein milderes Urteil versprochen worden sei, schüttelte der Junge den Kopf. Dies sei eine Sache zwischen ihm und dem Angeklagten.
    »Ich habe ihm ein Foto von meiner Freundin gezeigt«, erklärte der Junge. »Er hat gesagt, wenn er rauskommt, will er sie sich nehmen.«
    Das also war nun ihr Fall. Alles, was getan werden konnte, war getan worden, als Gene Cassidy den Zeugenstand betrat. Cassidys Auftritt war der emotionale Höhepunkt, ein unausgesprochener Appell an Butchie Fraziers schwarze Brüder und Schwestern auf der Geschworenenbank. Die starren den jungen Mann im Zeugenstand jetzt an, einen jungen Mann, der ihren Blick nicht erwidern kann. Gene Cassidy ist der psychologische Trumpf der Anklage, der die Herzen der Geschworenenrühren soll, ehe die Verteidigung

Weitere Kostenlose Bücher