Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
sich. Organhandel in Europa? Das wurde sicher nicht im großen Stil und organisiert betrieben. Vielleicht in Asien, in Südamerika oder Afrika. Aber nicht hier in Europa, so dachten die meisten.
Schell hatte somit bald seine Ruhe. Er bekam zwei Büros, eines für sich und ein zweites für seine zwei Mitarbeiter, ein Stockwerk über seinem früheren Büro.
Diese Beförderung hatte eine handfeste Konsequenz, auf die er an diesem Morgen als Erstes traf, als er die Tür zu seiner Abteilung öffnete.
„Guten Morgen, Lisa“, er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand, 6:30 Uhr. „Schon so früh unterwegs? Ist was passiert?“
„Guten Morgen, Chef. Kaffee ist gleich fertig. Nö, ich konnte einfach nicht mehr schlafen und mache heute Nachmittag dafür früher Schluss.“
Lisa Schlattmann, achtunddreißig Jahre alt, ledig. Markenzeichen: ihr brauner Wuschelkopf. Anders konnte man ihre Frisur aus ungebändigten Locken nicht nennen. Mit ihren einsfünfundsechzig war sie um einiges kleiner als Jakob, und sie war ein Energiebündel. Sie war weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen, und ihr kräftiger Händedruck war der physische Ausdruck ihres gesunden Selbstvertrauens. Der Vermerk „schwarzer Gürtel in Judo“, den Jakob in ihrer Personalakte gefunden hatte, hatte ihn nicht überrascht. Das passte zu ihr.
Bis vor Kurzem war sie die Sekretärin seines alten Chefs Kollatz gewesen. Sekretärin des jeweils aktuellen, immer mal wieder wechselnden Abteilungsleiters war sie schon seit über zehn Jahren. Aus diesem Grunde war sie im gesamten BKA bekannt und hervorragend vernetzt. Er war geplättet, als sie sich damals auf ihre direkte Art, die manchmal ganz schön nerven konnte, bei ihm gemeldet hatte.
Keine Stunde nach dem Treffen mit Kollatz, bei dem dieser ihm mitteilte, dass Jakob eine eigene Abteilung angeboten wurde, war sie in seinem Büro erschienen. Zuerst dachte er, Kollatz hätte etwas vergessen, aber er wurde schnell eines Besseren belehrt. Ohne dass er sie dazu aufgefordert hätte, setzte sie sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und schenkte ihm ein breites Lächeln.
„Herzlichen Glückwunsch zur neuen Abteilung, Sie nehmen ja sicherlich an?“, hatte sie ihn gefragt.
Er war sich noch nicht so sicher und hatte sich einen Tag Bedenkzeit erbeten, wollte sich die überraschende Entwicklung und ihre Konsequenzen überlegen. „Ich ziehe es in Erwägung“, hatte er zögernd geantwortet.
„Quatsch, Sie erwägen es nicht, Sie tun es, und ich bewerbe mich hiermit für Ihre Abteilung“, hatte sie ihm strahlend erwidert.
„Ich bekomme Personal?“, hatte er entgeistert gefragt.
Sie hatte die Augen verdreht: „Herrgott, hat man Ihnen nichts gesagt? Die Abteilung besteht aus drei Stellen, Sie, ich – und eine ist jetzt noch frei!“
Spontan hatte er an den Schlachtruf der Panzergrenadiere denken müssen: „Dran, drauf, drüber“, viel Umstände hatte sie nicht gemacht. Ihm war dann nichts Besseres eingefallen als sie zu fragen: „Warum wollen Sie denn zu mir?“
Sie hatte offensichtlich mit dieser Frage gerechnet. „Ein sachlicher und zwei persönliche Gründe“, sagte sie in einem weniger forschen Ton.
„Na dann fangen Sie mal mit dem sachlichen Grund an“, forderte er sie auf.
Sie hatte ein ernstes Gesicht gemacht. Wie er später noch oft erleben sollte, wurde es dann wirklich ernst und sachlich. „Ich bin ausgebildete Polizistin und war bis fünfundzwanzig im Außendienst. Dann kam ich zum BKA und wurde bei der Drogenfahndung, damals noch unter Martin Polinski, als Ermittlerin ausgebildet. Nach etwa zwei Jahren beförderte man mich zur Assistentin des Abteilungsleiters und das bin ich heute noch. Allerdings war ich in den letzten Jahren mehr die spezialisierte Chefsekretärin. Ich koordiniere Termine, organisiere und protokolliere Sitzungen, organisiere Dienstreisen für die ganze Abteilung, mache Spesenabrechnungen und so weiter …“
„… und keine Ermittlungsarbeit mehr“, unterbrach er sie.
„Genau! Ich bin von dem Job, den ich eigentlich machen will, inzwischen meilenweit weg“, sagte sie.
„Und die persönlichen Gründe?“, setzte er nach.
Sie zögerte einen Moment und schaute ihm dann direkt ins Gesicht. „Der Kollatz! Ich mag den neuen Chef nicht und das beruht wohl auf Gegenseitigkeit.“ Und dann hatte sie gelächelt, ein gewinnendes, offenes Lächeln, das er nur von Frauen kannte. „Außerdem brauchen Sie mich, und ich mag es, wenn man mich braucht.“
So
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