Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
dem Schreibtisch wirkte plötzlich ungemütlich und so stand er auf, ging zur Kaffeemaschine, stellte die Tasse unter und drückte die Taste. Seine Gedanken kreisten um das, was er gerade gelesen hatte.
Der geschichtliche Überblick über die Transplantationsmedizin hatte ihm eine schlüssige Erklärung für das grundlegende Motiv für den illegalen Organhandel geliefert: Big Business.
Die noch relativ junge Transplantationsmedizin war schnell Opfer ihres eigenen Erfolges geworden, denn das Angebot deckte nicht mehr die Nachfrage. Und da die meisten Menschen außerordentlich am Leben hingen, waren sie bereit, sehr viel für ein passendes Organ zu zahlen – und jegliche moralische Bedenken über Bord zu werfen.
Das Thema war überraschend komplex, es war bei Weitem kein reines medizinisches Problem. Dort interessierten ihn die Details weniger, das Einzige, was er sich hierzu notierte, war, dass das Hauptproblem jeder Transplantation die Immunreaktion des Empfängerorganismus gegen das Transplantat war. Er hatte verstanden, was die Hauptursache der gefürchteten und nur zum Teil medikamentös zu unterdrückenden Abstoßungsreaktion war: die genetisch festgelegte und damit individuell unterschiedliche Zelloberfläche. Deswegen waren nahe Verwandte die besten Spender, bei ihnen war die genetische Übereinstimmung am größten.
Er vermutete, dass dieser Zusammenhang ein wichtiger Ansatzpunkt für jede Ermittlung zum illegalen Organhandel war. Denn der Händler benötigte nicht nur einfach ein Organ, es musste auch noch möglichst zum Empfänger passen, und das hieß wiederum, dass im Vorfeld entsprechende Vorkehrungen zu treffen waren. Eine Kette, an der mehrere Personen und Stellen beteiligt sein mussten, und je mehr Kettenglieder, desto mehr Ansatzpunkte und Spuren.
Was ihn nicht überraschte, war, dass die Verteilung der verfügbaren Organe in den westlichen Staaten über Organisationen wie Eurotransplant, Scandiatransplant, United Kingdom Transplant Support Services Authority und in den USA über United Network for Organ Sharing organisiert war. Für den Rest der Welt, außer Australien, waren die entsprechenden Organisationen noch im Aufbau. Das nahm er als weiteren wichtigen Hinweis für seine Ermittlungen auf.
Diese Organisationen waren zum Teil unterschiedlich strukturiert, hatten aber alle die gleiche Zielsetzung. Sie sollten sicherstellen, dass die Spenderorgane nach Dringlichkeit und Erfolgsaussichten verteilt wurden und nicht nach finanziellen oder sozialen Kriterien. Und hier setzte der illegale Organhandel an, für den die Kaufkraft der Kunden an erster Stelle stand.
Bemerkenswert war eine Ende der achtziger Jahre auf dem Markt aufgetauchte Schweizer Unternehmung, die ORGANICA. Den Forschern der ORGANICA war es gelungen, eine Reihe schnell durchführbarer spezifischer DNA-Tests zu entwickeln, mit denen treffsicher die Verträglichkeit eines Spenderorgans mit dem Immunsystems eines potenziellen Empfängers überprüft werden konnte. Die ORGANICA hatte dazu bekannte Analysetechniken optimiert und die Analysephase, die früher mehrere Tage dauerte, auf weniger als eine Stunde reduziert.
Parallel bot die ORGANICA ein Datenbanksystem an, das heute von allen Organspende-Organisationen und den angeschlossenen Transplantationszentren genutzt wurde. Dort konnten sich Organspender registrieren lassen und ihr Genom hinterlegen. Die Transplantationszentren nutzten wiederum die Datenbank, um den Organbedarf zu melden und die Verteilung verfügbarer Spenderorgane zu koordinieren. Diese weltweit einzigartige Datenbank konnten alle teilnehmenden Organisationen und Transplantationszentren kostenlos nutzen. Ein cleveres Marketingkonzept, denn ihr Geld verdiente die ORGANICA unter anderem mit DNA-Tests und spezifischen Verfahren zur Einschätzung der Verträglichkeit von Spenderorganen.
Ein kurzer Besuch der Website der ORGANICA zeigte ihm ein Unternehmen, das auf Erfolgskurs war. Es war erst seit Kurzem an der Börse und hatte seinen Wert bereits verdreifacht, die Prognosen waren euphorisch.
Jakob trank seinen Kaffee aus und beschloss, genau jetzt zu handeln. Er ging zurück zum Schreibtisch und griff zum Telefonhörer. Er rief seine Bank an. Es dauerte einen Moment, bis er mit seinem Kundenberater verbunden wurde.
„Schell hier, Herr Fischer, ich will eine spezielle Aktie kaufen. ORGANICA, was halten Sie davon?“ Er hörte konzentriert zu. „Biotechnologien im Pharmabereich sind generell im Trend? Was spricht
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