Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
einspringen kannst, und er hat ja gesagt.“
Nun musste er wohl seine Stimme wiederfinden. Er räusperte sich und sagte: „Bewährungshelfer, so? Ich dachte, für so was braucht man eine Ausbildung?“
„Der Richter meinte, es läge in seinem Ermessen. Da du als ehrenamtlicher Bewährungshelfer nur diesen einen Fall betreust und zudem mit deiner militärischen Berufsausbildung und Erfahrung … Kurzum, er kann sich keinen besseren Bewährungshelfer vorstellen.“
Er gab auf. „Pack ihn ein, Lisa, ich brauch jetzt einen Kaffee.“
„Okay, Chef, das dauert aber eine Weile. Ich schlage vor, ich bringe dir das Paket heute Abend direkt nach Hause, ich mache dir auch eine Schleife drum, und um die Brille kümmere ich mich später.“ Sie drehte sich um und verschwand in den Nebenraum.
Jakob wollte sie packen und, ja was? Sie schütteln? Nein. Sie umarmen und küssen. Er war irritiert und schob diese Gedanken weit weg.
Teil 2
5. September bis 30. November 2012
Rachegedanken
In der Hacker-Szene war er als der Gambler bekannt, er galt als Genie. Er las Softwarecodes wie andere die Tageszeitung. Wobei lesen es nicht traf, er sah den Code in seiner Gesamtheit. Schlüssige, logische Strukturen hatten ihn schon als Kind fasziniert. Und bisher hatte er nur wenige Codes gefunden, die seinen hohen Ansprüchen genügten.
Oft reichte schon ein Blick, um die Qualität und die Fähigkeiten der Software-Entwickler im Sourcecode zu erkennen. Sobald er einen Code sah, verschoben sich die Strukturen vor seinem geistigen Auge zum optimalen Bild. Löcher füllte er schnell mit einer eigenen Lösung oder er verstand deren Nutzen als Schwachstelle. Andere echte Software-Künstler kannte er kaum, meist war es nur biederes Handwerk.
Und wie ein Künstler hatte er früher auch gelebt. Geld nur für Hard- und Software und Anschlussgebühren. Wohnen, Essen, Kleidung interessierte ihn nicht, nach außen wirkte er arm und vernachlässigt. Aber er fühlte sich reich und war zufrieden.
Er hatte Algorithmen entwickelt, die in der Szene zu einem wahren Hype und zu seinem legendären Ruf geführt hatten. Dank ihm waren auf der ganzen Welt wochenlang keine Regierungs- und Firmenserver vor einem Hackerangriff sicher. Bei dem Internet-Kollektiv Anonymous fand er sein virtuelles Zuhause und Freunde – die er nie persönlich traf. Andere Leute von Anonymous entwickelten seinen Sourcecode zur Überwindung verschiedener Firewalls weiter und wurden 2008 mit ihren Hackerangriffen gegen Scientology und diverse Regierungsbehörden in der Öffentlichkeit bekannt.
Nicht, dass er das je beabsichtigt hätte. Am Anfang seiner Karriere war er so genial wie naiv gewesen. Ihn interessierte das Problem, die Lösung, und es machte ihn high, wenn er Beachtung und Anerkennung erhielt. Was andere mit seiner Software machten, war ihm völlig egal.
Und urplötzlich war der Gambler verschwunden. In der Szene ging das Gerücht um, dass ihn die CIA erwischt hatte und er irgendwo in einem Gefängnis saß oder für die Regierung arbeitete. Manche glaubten, dass er richtig Kohle gemacht und sich in die Karibik abgesetzt hatte.
Die Wahrheit war beschämend: Dem genialen Gambler war eine Spielerei zum Verhängnis geworden und er hatte einen extrem dummen Fehler gemacht.
Jene Spielerei waren ein paar kleine Programme gewesen, mit denen verschlüsselte Daten entschlüsselt und nutzbar gemacht werden konnten. Bei den Ermittlungen zu seinem Fall erfuhr er, dass seine Programme dazu verwendet wurden, Kreditkartendaten zu fischen, wie man in der Branche sagte. Was hatte er dafür bekommen? 2.000 Euro für die Software und achtzehn Monate Gefängnis. Dabei hatte er noch Glück gehabt, dass die Ermittler seine wahre Internet-Identität nicht aufgedeckt hatten.
Sein Fehler war, dass er einen Kumpel an seinen Rechner gelassen hatte. Den Kumpel, der ihm diesen Auftrag besorgt hatte. Der wollte nur kurz seine Mails abrufen, sagte er. Und lud stattdessen ein Programm auf seinen Rechner, startete es. Und das war dann der dreißig Millionen schwere Raubzug, der ihn – und nicht den Kumpel – in den Knast brachte.
Er hatte die Manipulation an seinem Rechner nicht bemerkt. Der war gegen Angriffe von außen bestens abgesichert, aber von innen? Eine solche Schlamperei würde ihm nie wieder passieren.
Im Gefängnis hatte er genug Zeit gehabt, seinen Groll zu vertiefen. Er hatte noch keinen Plan, aber sein Rachefeldzug war beschlossene Sache. Die Hintermänner dieses
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