Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
sich einen Spaß daraus, die Sicherheitsvorkehrungen zu studieren und dann zu umgehen, alle möglichen fremden Mails zu lesen, Datenbanken zu durchsuchen und in Fallakten zu schauen, die ihn nichts angingen. Dabei interessierte ihn – wenig überraschend – speziell alles, was mit Kreditkartenbetrug zu tun hatte.
Nach sechs Wochen bei den Schells bekam er Mitte Oktober eine eigene Wohnung. Sie war vierzig Quadratmeter groß, teilweise möbliert, hatte zwei Zimmer und war nicht weit weg von der Arbeit. Vermieterin war eine Versicherung, die sich nur für die Kaution und die pünktliche Mietzahlung interessierte. Die Internetanbindung war hervorragend. Außerdem unterhielt die Telekom im Keller des Gebäudes einen Verteiler, was sich als Glücksfall erwies.
Da er kaum Geld hatte, war er gezwungen zu improvisieren. Rund dreihundert Meter Glasfaserkabel und das erste Novemberwochenende brauchte es, um seine Wohnung mit mehreren kostenlosen Hochleistungsanschlüssen ans Internet anzubinden. Was ihm noch fehlte, war mehr Computerkapazität, aber dafür benötigte er Geld. Bis Ende des Jahres wollte er es haben.
Vor allem brauchte er Zugriff auf sein Backup. Er hatte regelmäßig Backups seiner Daten gemacht und sie an mehreren externen Stellen gespeichert. Sein Backup enthielt eine Vielzahl hochspezialisierter Softwareprogramme, die er oder auch andere Software-Künstler entwickelt hatten.
Es war riskant, das Backup zu holen, aber es war sowieso an der Zeit, dass der Gambler ein Lebenszeichen von sich gab. Seit 22 Uhr war er als Snoopy_Dog auf einer Website, auf der sich Internet-Aktivisten aller Art tummelten, und verfolgte den Chat. Er wartete auf Simon_the_King. Der Account war noch aktiv, das hatte er bereits geprüft, und Simon_the_King tauchte in der Regel nach 22 Uhr auf.
Simon_the_King war ein harmloser Aktivist, der im Internet Jagd auf Kinderpornografie machte. Technisch kein Experte, aber aufgrund seines Engagements in der Community bestens vernetzt. Wenn er einen verdächtigen Server identifizierte, gab es genug Leute, die für ihn und die Sache aktiv wurden.
Tobias hatte ihm in der Vergangenheit zweimal geholfen, gründlich gesicherte Server in Kuba und Korea zu knacken und die Porno-Datenbanken zu löschen. Im Gegenzug hatte er sich auf dem Rechner von Simon_the_King eingehackt und Speicherplatz für sein Backup geborgt.
Als er gerade aufstehen wollte, um sich eine Cola zu holen, loggte sich Simon_the_King endlich ein. Sofort startete er auf dem Server des Chatbetreibers eine Software, die die Verbindungsdaten von Simon_the_King ermitteln sollte. Er wartete einen Moment, dann klickte er den Account an.
Snoopy_Dog: „Hi, Simon.“
Simon_the_King reagierte nicht gleich, er beantwortete erst alle Anfragen von Accounts, die er kannte. Gespannt verfolgte Tobias die Statusmeldung des gerade gestarteten Softwareprogramms. Drei Minuten später hatte er die Verbindungsdaten.
Seine Finger flogen über die Tastatur. Mit traumwandlerischer Sicherheit stellte er die Verbindung zu Simons Computer her. Den Standard-Firewall fegte er beiseite – und traf auf eine unerwartete Hürde. Simon_the_King hatte aufgerüstet, aber auch das war für Tobias kein Hindernis. Kurz darauf war er durch und fand – nichts. Seine Daten waren weg?
Simon_the_King: „Hi, Snoopy, sollte ich dich kennen?“
Snoopy_Dog: „Kuba, Korea.“
Simon_the_King: „???“
Snoopy_Dog: „Gelöschte Datenbanken! Hast du einen neuen Computer?“
Simon_the_King: „Gambler, bist du das, Mensch, ich glaub es nicht! Wir dachten, dich hat es erwischt?!“
Snoopy_Dog: „Hast du einen neuen Computer?“
Simon_the_King: „Ja, warum?“
Snoopy_Dog: „Hast du die Daten vom alten noch?“
Simon_the_King: „Auf einer externen Festplatte, als Backup, warum?“
Snoopy_Dog: „Erklär ich dir bei Gelegenheit, kannst du sie mal anschließen?“
Simon_the_King: „Moment.“
Es dauerte einige Minuten, dann sah er, wie Simons Rechner ein neues Verzeichnis anzeigte. Sekunden später hatte er sein Backup gefunden und den Download gestartet. Geschätzte Downloadzeit: achtzehn Minuten.
Simon_the_King: „Angeschlossen, und jetzt?“
Snoopy_Dog: „Einfach laufen lassen.“
Simon_the_King: „Bist du etwa auf meinem Rechner? Ich hab eine neue Sicherheitssoftware installiert!“
Snoopy_Dog: „Moment, melde mich gleich wieder. Hast du Interesse an einer besseren Sicherheitssoftware?“
Ein Köder für den King. Simon würde sich gedulden
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