Honecker privat
begrüßt hätte, erwies er die Ehre. Das war allerdings nicht ausschließlich einer Reiseunlust und bestimmten unangenehmen Erfahrungen in der Fremde geschuldet, sondern reiner Pragmatismus. Staatsbesuche dienen nicht dem Kennenlernen, sondern einem politischen und wirtschaftlichen Zweck. Den politischen Sinn kann man propagandistisch aufladen, den wirtschaftlichen nicht. Stets stand bei den Reisezielen die Frage: Was wollen wir von ihnen, und was können wir denen bieten? Sofern es entsprechendes Potenzial gab, wurden Verträge vorbereitet, die dann bei dem Besuch unterzeichnet wurden. Das erklärt, weshalb die Entscheidung, wohin Honecker reisen sollte, zunehmend im Außenhandelsministerium getroffen und natürlich vorbereitet wurden. Ein Besuch des DDR-Staatsoberhauptes beispielsweise in Tuvalu hätte es nie gegeben – und das nicht nur wegen der langen Distanz. Meines Wissen war dort auch noch nie ein deutscher Bundeskanzler, wie eben bundesdeutsche Politiker nicht eben häufig in Afrika unterwegs sind. Die Gründe sind vermutlich die gleichen, die Honeckers Reisepolitik diktierten.
Die Ausflüge waren immer sehr dicht gepackt, sie waren nicht geeignet, Land und Leute wirklich kennenzulernen. Ulbricht schaute sich 1965 in Ägypten noch die Pyramiden an und besichtigte den Assuan-Staudamm, Honecker hingegen spulte sein politisches Programm ab. Vom 12. bis 15. Januar 1977 waren wir in Jugoslawien, vier Tage für Termine in Belgrad und Zagreb. Das war alles. Oder Vietnam in sechs Tagen. Vom 6. bis 13. April besuchten wir das schwer gezeichnete Land. Nun räume ich ein, dass die Umstände zwei Jahre nach Kriegsende nicht unbedingt einladend waren, aber das war so nicht vorhersehbar, will heißen: sie waren nicht die Gründe, weshalb sein Programm so straff war. Unterbringung und Versorgung konnte man nicht anders als katastrophal bezeichnen, obgleich sich die Vietnamesen geradezu rührend um die Langnasen aus Europa mühten. In den Gästehäusern gab es selten elektrischen Strom, Wasser tröpfelte nur aus den Hähnen, die feuchtschwüle Hitze in den Zimmern war unerträglich, weil es entweder keine Klimaanlagen gab oder diese mangels Strom nicht in Betrieb waren. So lebten wir denn von unseren Notreserven an Bord des Flugzeuges. Der Koch arbeitete rund um die Uhr.
Anders bei der Reise nach Indien im Januar 1979. Ich gehörte zur Vorbereitungsgruppe, die in der Vorweihnachtswoche unter Leitung des Protokollchefs des Außenministeriums auf den Subkontinent reiste. Franz Jahsnowski, 1930 in Frankreich geboren, war Diplomat seit den 50er Jahren und sprach fünf Sprachen akzentfrei, eine Zeitlang war er persönlicher Sekretär Ho Chi Minhs. Der Gruppe gehörten auch Sicherheitsleute an, denn der Sinn dieser Reise war die abschließende Besprechung und Präzisierung des politischen und des Besuchprogramms sowie Überprüfung aller sicherheitsrelevanten Aspekte. Erstmals war auch ich in die Arbeit eines solchen Vorkommandos eingebunden.
Diese Reise vom 10. bis 18. Dezember 1978 ist mir auch deshalb in lebhafter Erinnerung, als ich bei einem Schneider in Neu Delhi die Maße meiner Frau und meine eigenen sowie Skizzen hinterließ, wie die Lederjacken aussehen sollten, die wir wünschten. Ich würde in der Woche zwischen dem 7. und 12. Januar 1979 wiederkommen und die Jacken abholen, sagte ich ihm. Und so geschah es. Die beiden Teile saßen wie angegossen. Nach Indien flogen wir dann mit zwei Maschinen.
Die Reise war ein Gegenbesuch. Indira Ghandi, damals Premierministerin, war im Juli 1976 in Berlin gewesen und hatte dadurch die DDR international erheblich aufgewertet. Die Tochter Nehrus, eines der Begründer des unabhängigen Indiens, war 1966
erstmals zur Premierministerin gewählt worden und eine der Galionsfiguren der Bewegung der Nichtpaktgebundenen. 1980 wurde sie erneut an die Spitze der Regierung gestellt, Honecker beglückwünschte sie und bekam als Antwort aus der – wie es immer heißt: größten Demokratie der Welt – telegrafiert: »Ich teile Ihre Zuversicht, dass sich die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern in den nächsten Jahren weiter entwickeln wird, so dass unsere beiden Völker Nutzen aus unserer Zusammenarbeit ziehen können.« Fünf Jahre nach unserem Besuch auf dem indischen Subkontinent, am 21. Oktober 1984, wurde Indira Ghandi auf dem Weg zu einem Interview mit dem Schauspieler Peter Ustinov von einem ihrer Leibwächter in New Delhi erschossen.
Indien, das heute über eine
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