Honecker privat
Berlin-Manila. Dabei gilt natürlich rein formal auch hier der alte völkerrechtliche Grundsatz: Pacta sunt servanda«, schrieb Eberhard Kunz 2006, einst DDR-Botschafter auf den Philippinen.
Von Pjöngjang kehrten wir nach knapp zwei Wochen in Fernost zurück. In Irkutsk mussten wir zum Tanken zwischenlanden. Dort herrschten minus 30 Grad. In Manila hatten wir 35 Grad plus. Hinzu kam die Zeitverschiebung, kurzum: Alle waren nach dieser Reise ziemlich geschlaucht. Zu allen Strapazen gesellte sich noch Missgeschick: Frank-Joachim Herrmann rutschte beim Aussteigen auf der überfrornen Gangway aus und brach sich das Bein. Dank der Ärzte an Bord konnte er jedoch die Reise fortsetzen. Den nächsten Stopp gab es in Moskau: Nicht nur um zu tanken, sondern auch weil Erich Honecker dem Kreml über Verlauf und Ertrag der Reise berichten musste.
Völlig gerädert kam ich in Berlin an. Wegen des Jetlags hatte ich große Mühe, mich anderentags aus dem Bett zu quälen. Honecker jedoch saß wie gewohnt am Frühstückstisch und bald schon wieder in seinem Büro am Marx-Engels-Platz. Ich fand es erstaunlich, wie der Mittsechziger die Strapazen einer solchen Reise scheinbar folgenlos wegsteckte. Denn im Unterschied zu mir, dessen Aufgaben, nun ja, vergleichsweise einfach und überschaubar waren, musste er zwölf Tage lang agieren und jede Minute hellwach sein. Seine Selbstdisziplin war beachtlich.
Im Staatsratsgebäude hatte er neben seinem Büro einen Ruheraum, ferner ein Bad mit Toilette und die Küche, wo ich bisweilen das Essen anrichtete. Zudem sorgten zwei Sekretärinnen ebenfalls für sein Wohlbefinden. Dennoch schien er sich in diesem Hause nicht wohlzufühlen, als ob der Genius loci – und der hieß Ulbricht – ihn belastete. Er floh dem Ort geradezu, wenn er die unvermeidbaren Termine dort absolviert hatte. Obwohl ich immer alles vorbereitet hatte, nahm er niemals eine Mahlzeit dort ein, weder allein noch in Gesellschaft.
Er nahm dort die Beglaubigungsschreiben der Botschafter entgegen, sprach mit den Vertretern der Parteien des Demokratischen Blocks oder mit ausländischen Politikern, die Staatsratssitzungen hatte er bereits in den Kleinen Saal im Palast der Republik verlegt. Im Saal neben seinem Büro erfolgten die Auszeichnungen zum 1. Mai und zum 7. Oktober. Es fanden aus verschiedenen Anlässen Empfänge und Bankette statt …
Aber er schien das Haus nicht zu mögen. Im Unterschied zu mir. Ich war bereits bei seiner Übergabe1964 dabei. Ulbricht nahm als Hausherr den Neubau anlässlich des 15. Geburtstages der Republik in Besitz. Das architektonisch interessante Staatsratsgebäude mit dem Schlossportal, von dem Liebknecht 1918 die sozialistische Republik Deutschland ausgerufen hatte, steht seit 1993 unter Denkmalschutz und wird seit einiger Zeit von einer internationalen Managerschule genutzt. Kurzzeitig diente es auch Bundeskanzler Gerhard Schröder als Dienstsitz. Der Plan von ThyssenKrupp, unmittelbar vor dieses Gebäude die Hauptstadtrepräsentanz des Konzerns zu errichten, womit der Blick auf die Fassade des Staatsratsgebäudes verstellt würde, erledigte sich 2012 nach verständlichen Protesten. Interessant in diesem Kontext ist auch die Tatsache, dass das Unternehmen für das 737 Quadratmeter große Baugrundstück in der Mitte Berlins lediglich 3.766 Euro an das Land Berlin zahlen musste. Das zahlen andere für den Meter…
Zu den Verpflichtungen, denen Erich Honecker hingegen gern nachkam, gehörte die Diplomatenjagd.
Auch diese Übung hatte er von seinem Vorgänger übernommen, wobei nicht klar ist, wo sich Ulbricht – wahrlich kein Nimrod – dies abgeschaut hatte. Tatsache ist, das in den 50er und 60er Jahren die Bundespräsidenten Heuß und Lübke die in Bonn tätigen Vertreter des Auslandes nach Oelde ins Münsterland einlud, um im dortigen Staatsforst Geisterholz auf Niederwild zu schießen. Den Ausflug nannte man Diplomatenjagd. Walter Ulbricht nun bat um die Jahreswende herum das in der DDR ansässige diplomatische Corps nach Schierke zur Großwildjagd. Die Zahl der Botschafter war überschaubar, die der erlegten Hirsche und Rehe auch. Das aber war unerheblich. Der Sinn dieser Übung bestand darin, dass sich in entspannter Atmosphäre, bar jeglichen Protokolls, die Spitzenpolitiker des Gastgeberlandes mit den Abgesandten fremder Staaten begegneten.
Nach der Anerkennungswelle in den frühen 70er Jahren war der Kreis der Diplomaten gewaltig angewachsen, woraus sich nicht nur ein logistisches
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