Hongkong 02 - Noble House Hongkong
zusammenschweißen würde. Einen Augenblick lang hielt Dunross die beiden Hälften in seiner Hand. Wie soll ich mich gegenüber diesem kecken Burschen verhalten? fragte er sich. Eine gute Idee: Es sollte Philip Tschen überlassen werden, das Problem zu lösen!
»Also schön, Profitmacher Tschoy«, sagte er und setzte ihn ganz oben auf seine private Liste der mit Vorsicht zu genießenden Charaktere. »Ich erkläre mich bereit, Ihre Wünsche zu erfüllen – sofern Ihre Halbmünze echt ist – nur daß ich Lando Mata ersuchen werde; befehlen kann ich ihm nichts. In Ordnung?«
»Danke, Tai-Pan, Sie werden es nicht bereuen!« Paul Tschoy holte eine Namensliste aus der Tasche. »Das sind alle Prüfer in Hongkong. Sie haben alle bis sieben Uhr geöffnet.«
Dunross lächelte. »Sie sind Ihrer Sache sehr sicher, Profitmacher Tschoy.«
»Ich versuche nur, gut im Rennen zu liegen, Sir.«
Casey verließ das Struan’s-Building und ging auf den wartenden Rolls zu. Lim öffnete den Schlag. Sie ließ sich in die tiefen Polster zurücksinken. Sie fühlte nichts und wußte nur, daß ihr Schmerz sie verzehrte. Dabei merkte sie nicht einmal, daß Lim sich in den Verkehrsstrom eingeordnet hatte und auf die Autofähre zusteuerte.
Sie war den Tränen sehr nahe. Mir bleibt noch so viel Zeit bis zum Abflug, dachte sie. Ich habe meine Hotelrechnung bezahlt, das Gepäck ist am Flughafen, aber mir bleibt noch so viel Zeit.
Einen Augenblick lang dachte sie daran, den Wagen halten zu lassen, auszusteigen und zu Fuß weiterzugehen, doch das wäre noch schlimmer gewesen. Ich muß mit mir allein sein, kann mich nicht in der Masse bewegen. Linc, armer Linc! »Lim«, sagte sie, einer plötzlichen Regung folgend, »bitte fahren Sie mich zum Peak hinauf! Zur Aussichtswarte. Ich war noch nie oben, Bitte!«
»Ja, Miss.«
Casey lehnte sich zurück und schloß die Augen, um den Tränen zu wehren, die ihr über die Wangen perlten.
2
18.45 Uhr:
Bei Lo Wu, dem Grenzdorf zwischen der Kolonie und China, überquerten Chinesen wie üblich in kleinen Gruppen die überdachte Brücke in beiden Richtungen. Die Brücke war knapp fünfzig Meter lang und spannte sich über einen träge dahinfließenden schlammigen Fluß, und doch waren diese fünfzig Meter für manche eine lange Strecke. Auf beiden Seiten befanden sich Wachtposten, Kontrollen und Zollbaracken, in der Mitte eine Schranke. Zwei Eisenbahngeleise führten über die Brücke.
Früher einmal waren die Züge von Kanton nach Hongkong einfach durchgefahren, aber jetzt blieben die Personenzüge jeweils vor der Brücke stehen, und die Fahrgäste mußten sie zu Fuß überqueren. Güterzüge aus China fuhren auch weiterhin durch.
An den meisten Tagen.
Hunderte Einheimische passierten regelmäßig die Grenze. Schon seit Generationen hatten sie ihre Arbeit oder ihre Felder auf beiden Seiten. Die Grenzbewohner waren zähe und mißtrauische Menschen. Sie haßten Veränderungen, haßten Einmischungen und haßten Uniformen; ganz besonders haßten sie Polizei und Fremde jeglicher Art. Für sie, wie für die meisten Chinesen, war jeder ein Fremder, der nicht aus ihrem Dorf kam. Für sie gab es keine Grenze, konnte es keine geben.
Die Lo-Wu-Brücke war eine der empfindlichsten Stellen Chinas – die Brücke und die beiden anderen Grenzübergänge. Einer davon befand sich bei Mau Kam Toh, wo täglich Vieh und Gemüse über eine wackelige Brücke kamen, die sich über den gleichen Fluß spannte: dieser Fluß bildete den größten Teil der Grenze. Der letzte und östlichste Übergang befand sich bei dem Fischerdorf Sha Tau Kok. Hier war die Grenze nicht markiert und verlief in gegenseitigem Einverständnis entlang der einzigen Dorfstraße.
Das waren Chinas Berührungspunkte mit dem Westen. Alles wurde genau kontrolliert und auf beiden Seiten beobachtet. Die Spannung und das Verhalten der Wachen waren ein Barometer für das gerade herrschende politische Klima.
In Lo Wu waren die Wachen auf der Seite der VRC heute unruhig gewesen – Grund genug, daß auch die Hongkong-Seite nervös wirkte. Die Polizisten wußten nicht, was sie erwarten sollten – vielleicht eine plötzliche Sperre, vielleicht einen Einmarsch wie im vergangenen Jahr – die Existenz der Kolonie war von den Launen Chinas abhängig. »Und damit sind wir täglich konfrontiert«, murmelte Chief Inspector Smyth, der zu einem Sondereinsatz hierher abkommandiert worden war.
Voller Unbehagen stand er unweit der Polizeistation, die man
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