Honigsüßer Tod
bildete. Mit dieser versuchte er dann, die
Ritzen zwischen den Buchstaben zu desinfizieren.
Winterhalters Blick war zwar auf den eigenen Bildschirm gerichtet,
doch gelegentlich lugten die Augen unter den buschigen Brauen hervor und
beobachteten das Prozedere des Kollegen. Er hatte schon mehrfach solche
Putzaktionen miterlebt, war aber dennoch immer wieder erstaunt …
Thomsens Blick wanderte derweil angeekelt über den Fußboden, wo in
den Ecken und unter den Heizkörpern große Staubflusen hingen. Für eine Putzfrau
hatte die Gemeinde wohl kein Geld mehr. Er wurde immer unruhiger. Hatte es in
solch ländlichen Gegenden nicht auch des Öfteren Mäuse und ähnliches Ungeziefer
in den Wohnungen? So alt, wie dieses Rathaus schien, würde ihn das nicht
wundern.
Er bemerkte, dass Winterhalters Augen immer wieder zu ihm
hinüberwanderten.
»Was sitzen Sie so tatenlos herum, Kollege? An die Arbeit! Rufen Sie
gleich mal den Staatsanwalt an, und informieren Sie ihn, dass wir möglichst
schnell einen DNA -Reihentest durchführen wollen.
Ein richterlicher Beschluss ist dafür ja nicht notwendig, da alle Teilnehmer
freiwillig mitmachen. Wir brauchen aber die Einverständniserklärungen und
Verstärkung durch polizeiliche Ortskräfte.«
Jetzt war Schluss mit der Schwarzwälder Gemütlichkeit. Er würde den
Kollegen schon Beine machen. Die Polizeichefin wusste sicher, warum sie ihm die
Leitung anvertraut hatte.
»Rufen Sie auch noch mal im Sonnenhof an, und lassen Sie nachfragen,
wer mit der Sekte Probleme hatte. Wir brauchen Namen! Oder fahren Sie gleich
selbst noch einmal hin und klären das mit Lucidus – möglichst ohne ihm dabei an
die Gurgel zu gehen … Dann befragen Sie gemeinsam mit den Kollegen diese
potenziell Verdächtigen. Im Zweifelsfall sollten wir auch von denen eine
Speichelprobe nehmen – zunächst auf freiwilliger Basis.«
Zum Glück hatte er als Soko-Leiter die Freiheit, Aufgaben zu
delegieren. Andererseits: Würde den beauftragten Kollegen auch jedes Detail
auffallen? So wie ihm selbst? Er würde die Vernehmungsprotokolle und
Ermittlungsberichte sehr aufmerksam lesen müssen.
Thomsen wählte den Weg ins Internet. Wenigstens das klappte. Das
Rathaus war der einzige Ort in Großbiberbach mit WLAN ,
wie der Bürgermeister stolz berichtet hatte. Erstaunlich, wenn man bedachte,
wie schlecht der Handyempfang in diesem Nest war. Er brauchte erst noch mehr
über die Sekte, ehe es ans Eingemachte ging. Thomsen holte das
Ambrosius-Kärtchen in der Klarsichthülle aus seiner Tasche. Dann betrachtete er
es von beiden Seiten. Es war wohl wahrscheinlich, dass der Mord religiöse
Hintergründe hatte. Einer dieser erzkatholischen Eingeborenen? Nach einer
neuerlichen Putzprozedur der Tastatur galt es, sich über die Sekten im
Allgemeinen und im Schwarzwald im Besonderen zu informieren.
»Der Schwarzwald wird zum europaweiten Eldorado der Sinnsucher«, las
er die Schlagzeile eines Online-Artikels des »Schwarzwälder Kurier«. Gründe
dafür seien in den alten Kultstätten ebenso zu finden wie in der
Abgeschiedenheit und der mythischen Ausstrahlung der Landschaft. Schon immer
habe der Schwarzwald die religiöse Phantasie beflügelt und Randgruppen aller
Art angezogen.
Die nächste Stunde war er damit beschäftigt, sich von einer Homepage
zur anderen zu klicken – und es gab einige davon. Ihm schwirrte der Kopf.
Buddhismus, Hinduismus, Shintoismus und Taoismus – so ziemlich alle religiösen
Gruppierungen der Menschheit hatten sich in irgendwelchen alten
Schwarzwaldhöfen eingenistet. Nur auf eine Homepage der »Kinder der Sonne«
stieß er nicht.
Dafür aber irgendwann auf die Nummer eines Sektenbeauftragten der
katholischen Kirche. Vielleicht konnte der ihm weiterhelfen. Er versuchte es,
während Winterhalter einen Anruf des Ö entgegennahm. Lucidus sei bei der
Pressekonferenz von allen Seiten gefilmt und fotografiert worden, habe aber
eigentlich keine konkreten Verdächtigungen geäußert, lediglich vor den Schäden
durch nicht-natürliche Strahlung gewarnt und zu »allumfassender Liebe«
aufgerufen. Fragen habe er keine beantworten wollen – stattdessen allen seine
Freundschaft angeboten.
»Ei’fach en scheinheilige Kerle«, murmelte Winterhalter und griff
zum Telefon, um Lucidus zu erwischen, was sich nicht ganz leicht gestaltete.
Thomsen erreichte den Sektenbeauftragten schneller. Dieser
bestätigte ihm den Inhalt des Zeitungsartikels: »Es vergeht kaum ein Monat, in dem
wir nicht von einer neuen
Weitere Kostenlose Bücher