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Honigsüßer Tod

Honigsüßer Tod

Titel: Honigsüßer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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religiösen Gemeinschaft erfahren.«
    Thomsen überlegte, wie er auftreten sollte. Als jemand, der eher in
sich gekehrt und eigentlich sogar scheu war, neigte er gegenüber Unbekannten
mitunter zu einem sehr bestimmenden Ton. »Und jetzt sind Sie in Sorge, dass
Ihnen Ihre Schäfchen davonlaufen?«, fragte er mit tiefer Stimme.
    Der Sektenbeauftragte erklärte, es gehe keineswegs um Konkurrenz.
Vielmehr habe man die Verantwortung, die Öffentlichkeit über neue religiöse
Gruppierungen aufzuklären und vor etwaigen Gefahren zu warnen.
    »Viele der buddhistischen oder hinduistischen und auch quasi alle
der über 50 anthroposophischen Einrichtungen im
Schwarzwald scheinen uns unproblematisch«, meinte er. »Was nicht heißt, dass
sie mit der katholischen Lehre vereinbar wären.«
    »Klar.«
    »Das betrifft auch die meisten esoterischen Einrichtungen: Sie
kennen sicher das Zentrum des berühmten Psychologen Graf Dürckheim in
Todtmoos-Rütte …«
    »Natürlich«, sagte Thomsen – obwohl er keine Ahnung hatte.
    »Außerdem haben wir auch ein waches Auge auf die eine oder andere
vorkonziliare Gruppierung, die ebenfalls in einigen Dörfern des Schwarzwaldes
Dependancen errichtet hat.«
    »Aha«, sagte Thomsen nun. Den harten Ermittler würde er hier kaum
durchhalten können, wenn er wirklich etwas erfahren wollte. »Und was heißt
vorkonziliar?«
    »Ha, Chef«, unterbrach Winterhalter sein eigenes Gespräch und gab
den versierten Katholiken. »Zweites Vatikanisches Konzil – nie davon gehört?
Johannes der XXIII . – den werden Sie doch kennen,
oder? Und vorkonziliar sind halt die besonders Altmodischen …«
    Thomsen winkte wütend ab. Dann wandte er sich wieder seinem
Gesprächspartner am Telefon zu. »Erzählen Sie mir etwas über die ›Kinder der
Sonne‹. Ich habe keine Homepage von denen gefunden. Warum?«
    »Weil sie davon überzeugt sind, dass Computer und Internet schädlich
sind. Sie glauben, dass die gefährlichen …«
    »Strahlen – natürlich«, entfuhr es Thomsen. Allmählich kam er in das
Thema rein.
    »Genau«, bestätigte der Sektenexperte. »Deshalb ist es der Gruppe
auch wichtig, dass ihr Sonnenhof in einem Funkloch liegt. Strahlen spielen eine
sehr große Rolle in der Sektentheologie. Strahlen darf demzufolge nur die
Sonne.«
    Er räusperte sich. »Die ›Kinder der Sonne‹ gehören zu den neuoffenbarisch-mediumistischen
Gruppierungen. Lucidus wird als einziges Medium zu einem Gott gesehen, der sich
in der Sonne manifestiert. Sie sprechen auch von einem ›Sol Invictus‹, dem
Sonnengott. Der scheint eine Anleihe bei der römischantiken Sonnenreligion zu sein.
In der Symbolik orientieren sich die ›Kinder der Sonne‹ in Teilen auch an der
katholischen Symbolsprache, die …«
    Thomsen klinkte sich aus. Sein Blick ging zu Winterhalter, der wohl
endlich zu Lucidus durchgestellt worden war.
    »… gleichwohl ist die Seelenwanderungslehre nur schwer vereinbar mit
christlichen Überlieferungen. Da rekurrieren die ›Kinder der Sonne‹ ebenso auf
antike Vorstellungen, etwa auf Empedokles, dessen Ideen ja von Platon weiter
ausgebaut wurden …«
    Thomsen schwieg beharrlich.
    Der Pfarrer am anderen Ende der Leitung schien in seinem Element zu
sein. »Wie Empedokles lehren auch die ›Kinder der Sonne‹, dass die unsterbliche
Seele schon vor der Geburt existiert und göttlichen Ursprungs ist. Infolge
moralisch verwerflicher Taten muss sie sich aber in zahlreichen Verkörperungen
reinigen. Die Reinigung erfolgt etwa durch vegetarische Ernährung und …«
    »Warum ist es da drin eigentlich so sauber?«, klinkte sich Thomsen
wieder ein und schaute auf das Bild von Bundespräsident Horst Köhler, der in
Schwarz-weiß und mit strahlendem Lächeln im schiefen Goldrahmen neben der Tür
hing.
    Der Sektenpfarrer hielt inne: »Wie bitte?«
    »Warum es da drin so sauber ist? Die sind alle in Weiß, der Rasen
ist kurz geschoren, Blumen blühen. Ich hingegen sitze hier …« Allmählich überkam
Thomsen der große Frust. Sein Duschzeremoniell war genauso für die Katz gewesen
wie die Anti-Depressiva. Dazu ein Kollege, der immer noch den Duft der großen
weiten Tierwelt an sich hatte, ein Büro, das deprimierend, staubig, beengt und
laut war. »Ach, vergessen Sie’s«, sagte er dann und forderte unwirsch: »Können
Sie mir das Ganze bitte so erklären, dass ich es verstehe?«
    Der Pfarrer räusperte sich. »Entschuldigung: Also – bei den ›Kindern
der Sonne‹ handelt es sich nach unseren Maßstäben

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