Honigtot (German Edition)
mit der jungen Frau und es entspann sich eine kurze Diskussion, aus der Felicity nur den Namen ihrer Mutter heraushörte. Fragend sah sie Pater Simone an. „Wie es scheint, hängt das Schild `Bitte nicht stören´ seit gestern Abend an der Zimmertür Ihrer Mutter.“ Er wandte sich an die Dame am Empfang und sagte bestimmt. „Ich denke doch, dass wir gleich nachsehen sollten. Vielleicht ist die Dame krank und benötigt einen Arzt?“
Die Hotelangestellte nickte, rief eine Kollegin aus dem Büro, damit sie für sie übernahm, und führte sie zum Fahrstuhl.
Kurz darauf standen sie vor der Tür mit der Nummer 212 und klopften. Keine Reaktion. Felicity rief nach ihr. Nichts. „Bitte, machen Sie uns die Tür auf?“ Felicity wurde ungeduldig.
Die Angestellte zögerte nun nicht mehr, sondern öffnete mit der Generalschlüsselkarte die Tür. Felicity betrat als Erste das Zimmer und starrte schockiert auf das unerwartete Chaos, das sich ihren Augen bot. Jede erdenkliche Fläche des Zimmers war mit Zeitungsartikeln und Papierschnipseln übersät. Das meiste war zerrissen und einiges wieder zusammenklebt worden. Alles wirkte wie ein riesiges Puzzle. Ihre Mutter kniete auf dem Bett, das ebenfalls mit Papierschnipseln bedeckt war, und blätterte in einem kleinen Notizbuch. Die Haare hingen ihr wirr ins Gesicht, sie wirkte völlig abwesend. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass jemand ihr Zimmer betreten hatte und reagierte erst, als ihre Tochter sie am Arm berührte. Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus.
„Mom! Ich bin es, Felicity!“
Martha starrte ihre Tochter an, als wäre sie eine Fremde. Dann seufzte sie und fuhr sich mit beiden Händen müde durch das Gesicht. Schließlich sagte sie leise: „Was machst du hier, Felicity?“
„Dich suchen. Dad und ich haben uns furchtbare Sorgen um dich gemacht. Du bist einfach so verschwunden. Was hast du dir nur dabei gedacht? Warum hast du Vater nicht wenigstens angerufen? Und was machst du hier überhaupt? Was sind das für Papiere?“ Obwohl Felicity erleichtert war, ihre Mutter so schnell gefunden zu haben, schlich sich bereits ein Vorwurf in ihre Stimme.
Ihre Mutter sah sich um, als würde sie das Chaos um sich herum jetzt selbst erst wahrnehmen. Statt Felicitys Frage zu beantworten, strich sie sich durch ihr wirres Haar: „Ich muss furchtbar aussehen.“
„Das ist doch jetzt nicht wichtig. Hauptsache, es geht dir gut. Es geht dir doch gut?“
„Natürlich.“ Felicitys Mutter schwang sich schwerfällig vom Bett. Sie machte ein, zwei unsichere Schritte, schwankte und wäre beinahe gestürzt. Pater Simone fing sie auf und half ihr, sich wieder auf das Bett zu setzen. Felicity griff nach der Hand ihrer Mutter und fühlte den Puls. „Er ist viel zu langsam. Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen, Mom?“
„Ich weiß nicht?“, kam die unsichere Antwort. „Gestern Morgen vielleicht?“
Pater Simone hatte bereits fürsorglich ein Glas mit Wasser gefüllt und reichte es Felicitys Mutter.
Die Rezeptionistin stand weiter unschlüssig im Raum. „Wäre es möglich, meiner Mutter eine leichte Mahlzeit auf das Zimmer zu bringen? Eine Suppe vielleicht?“, wandte sich Felicity nun an sie. Die Hotelangestellte nickte und ging eilig hinaus.
Pater Simone überflog inzwischen die im Raum verteilten Zeitungsausschnitte. Auf die Schnelle konnte er nicht viel erkennen, aber sie schienen ihm zum Teil sehr alt zu sein. Der Kleidung auf einem der zusammengeklebten Bilder nach zu urteilen, stammte es eventuell aus den zwanziger Jahren. Auf einem Sessel entdeckte er noch eine grüne Papiermappe mit einem Aktenzeichen darauf. Prozessakten? Dann fiel sein Blick auf das Notizbuch, in dem die Signora geblättert hatte, als sie den Raum betreten hatten. Es war auf den Boden gerutscht, als sie vorhin versucht hatte aufzustehen. Es lag nun auf der letzten Seite aufgeschlagen auf dem Teppich. Er hob es auf und erkannte die Schrift. Hebräisch? , wunderte er sich. Am Ende stand nur ein Wort. MET . Das hebräische Wort für tot. Was hatte das zu bedeuten?
„Können Sie das lesen?“ Felicitys Mutter fixierte ihn. Plötzlich war wieder Leben in ihren Augen.
„Äh, ja. Es ist Hebräisch.“
„Können Sie Hebräisch?“
„Ja, ich habe es studiert.“
„Können Sie es für mich übersetzen, bitte?“
„Es ist ein wenig viel auf einmal.“ Pater Simone blätterte das Buch rasch durch.
„Bitte, es ist sehr wichtig. Ich muss wissen, was da drin steht.“
„Wer hat das
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