Honky Tonk Pirates - Das verheißene Land - Band 1
sahen, über die Mauer und ein Hausdach hinweg, wo er im Hof dahinter in einem Misthaufen landete.
»Uh«, stöhnte Will. »Das stinkt ja bestialisch.« Erst dann begriff er, dass er nicht tot war, sondern noch lebte. »Aber ich rieche es. Oh, mein Gott, Jo, wie lieb ich diesen Gestank.«
Der Rest war ganz einfach. Während Talleyrand und sämtliche Wachtposten vor den Toren der Stadt auf ihn warteten, tanzte Will über die Dächer Berlins. Er tanzte über die Mauer der Festung und hinauf auf den Dom, wo er immer noch ungesehen auf der Spitze der mondbleichen Kuppel in den Turm sprang, den er auch sein »Tortuga« nannte.
FRAUEN AN BORD
M it einem Satz sprang Will durch das glaslose Rundbogenfenster in seine Piratenhöhle, warf die Livree mit dem Spanferkel auf den Tisch, riss sich die Buckligen-Mädchen-Klamotten vom Leib und lief nackt durch das Turmzimmer, um seine Piratenkapitänskleider zusammenzusuchen, die kreuz und quer verstreut im Zimmer herumlagen.
»Jo? Bist du da, Jo? Dann komm bitte raus! Ich hab keinen Bock auf diesen Springteufel-Uaah!-ich-fall-von-der-Decke-Firlefanz. Heut wird gefeiert!«
Will zog sein Rüschenhemd an, packte die Stulpenstiefel mit der linken und die rote Kapitänleutnantsjacke mit der rechten Hand und suchte - unten immer noch ohne alles - verzweifelt nach seiner Hose.
»Verflucht noch mal, Jo, wo ist meine Hose?«
»Oh, die liegt unterm Tisch«, kam die Antwort von Jo, und Will drehte sich um.
»Wie kommt die denn dahin?«, wollte er sagen, doch in Wirklichkeit klang das so: »Wie kommt die denn da … nein, Jo, was ist das denn? Beim leibhaftigen Teufel!«
Er hielt sich die Stulpenstiefel und den Rock vor die nicht vorhandene Hose. »Was ist denn das da? Das da, Jo, da!«
Er drehte sich um, doch dann fiel ihm sein Hintern ein. Der war ebenfalls nackt.
»Beim allmächtigen Satan, Jo!«, rief er, ließ Stiefel und Jacke fallen und floh hinter die Vorhänge, die die Hängematten vom Rest des Raums trennten. »Jo! Hinter dir! Da, da! Die beiden!« Will steckte den Kopf hinter dem Vorhang heraus und zeigte wild gestikulierend auf einen Punkt hinter dem Freund.
Doch der blieb ganz cool.
»Was soll denn da sein?«, fragte Jo scheinheilig und öffnete dabei die Pagenlivree. »Jesus im Himmel!«, raunte der Kleine und seine großen runden Augen wurden noch runder und größer: doppelt so groß. »Das ist ein Spanferkel, seht doch, und das hier ist Strudel. Apfelstrudel mit Zucker und …« Er steckte einen Finger in die Backform und leckte ihn ab. »… und richtigem Zimt. Das reicht uns für Tage, na kommt schon, selbst wenn wir so viel essen, wie dieser Eulenfels frisst.«
Jo lachte, doch die beiden kleinen rothaarigen Mädchen mit den abstehenden Ohren rührten sich nicht von der Stelle. Sie schauten ängstlich vom Ferkel zu Will.
»Jo. Das da sind Frauen!«, protestierte der zornig.
»Nein. Es sind Mädchen«, berichtigte Jo.
»Ja, Mädchen, die du nicht ausstehen kannst.« Will schöpfte jetzt Hoffnung. »Du hast es geschworen, Jo, auch wenn sie ganz klein sind und süß und so niedlich. Mädchen sind Frauen! Und die bringen Unglück. Oh, Unglück. Oh, Unglück.«
Er drehte sich dreimal auf der Stelle im Kreis. Dann wurde er ernst: »Und Unglück heißt Galgen! Galgen, Jo, URRGH!«
Er zog sich an einer imaginären Schlinge mit der Faust in die Luft, streckte die Zunge heraus und verdrehte die Augen.
»Wir werden sterben«, röchelte er.
»Das werden wir sehen!«, widersprach sein Freund.
Er lief zu den Mädchen und schob sie zum Tisch. »Kommt schon. Das da ist Will. Uhuhu: Höllenhund Will.Aber ihr müsst keine Angst haben - der tut nur so böse.«
»Das tue ich nicht. Ich bin böse, Jo. Und wenn du die beiden nicht auf der Stelle hinauswirfst …«
»Will!«, fiel ihm sein kleiner Freund ins Wort. »Das sind Rachel und Sarah. Sie beten dich an. Nein, alle Kinder beten dich an. Du bist ihr Held. Der Retter der Welt.«
»Das hab ich heute schon einmal gehört. Aber das ist nicht wahr. Ich bin ein Pirat. Ich klaue und stehle …«
»Ja«, unterbrach ihn eines der Mädchen. »Bis dein Schatz groß genug ist.«
»Ganz genau«, zischte Will. »Aber er ist noch nicht groß genug. Er wird nie groß genug sein, und ich glaube nicht, dass du etwas hast, was daran etwas ändert.« Er strafte das Mädchen mit einem verächtlichen Blick und das schaute hilflos auf seine Füße.
»Komm, Rachel, wir gehen«, flüsterte sie und suchte die Hand ihrer Schwester. Die
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