Honky Tonk Pirates - Das verheißene Land - Band 1
Haut ab und verschwindet endlich!«
Er zog den Vorhang zu und lehnte sich gegen die Wand. Er kauerte sich in eine Ecke. Er starrte den Vorhang an und dann schrie er so laut, wie es seine Tränen erlaubten: »Ich brauche euch nicht. Hört ihr?Verschwindet doch endlich.«
»Ja«, sagte Rachel. »Und weißt du was, Jo? Ich weiß auch schon längst, wohin wir jetzt gehen. Wir gehen zu den Elfen, den Feen und den Zauberern.«
Rachel und Sarah nahmen Jo in die Mitte.»Wir gehen dorthin, wo unser Beutel herkommt. Der Beutel von Papa.«
»Wie bitte? Was?«, zischte Will hinter dem Vorhang.
Dann fiel es ihm wieder siedend heiß ein: der Beutel! Der Beutel von Talleyrand. Nein, der andere Beutel. Zum Teufel, der Beutel, den Talleyrand so rücksichts- und bedingungslos suchte. Der Beutel, der mehr wert war als die Hauptstadt Berlin. Er hatte ihn selbst gesehen und er sah ihn jetzt wieder: Der rothaarige Mann. Der Vater der Mädchen. Er kniete nieder. Er nahm ihre Hände und drückte den Beutel in sie hinein.
Will stöhnte. Er verfluchte den Aberglauben, der ihn so blind gemacht hatte. Dann sprang er auf. Er schlüpfte in das, was er für eine Hose hielt, und stürzte zur Treppe.
»Also gut!«, rief er und versuchte dabei so cool wie möglich
zu klingen. »Also gut. Ihr könnt bleiben. Ja, und ihr kriegt was zu essen.Aber dafür krieg ich natürlich auch was von euch. Jo, ich krieg deine Mütze und von euch euren Beutel. Und dafür, das verspreche ich euch, beschütze ich uns. Ich beschütze mich vor euch und euch vor den anderen.«
Da stutzten die drei und drehten sich um.
»Bist du sicher?«, fragte Jo skeptisch. »Willst du das wirklich?«
»Ja«, antwortete Will.
»Und wie willst du das machen?«, fragte Rachel. Sie starrte ihn an und sie konnte sich ihr Lachen kaum noch verkneifen.
»Wie? Bitte? Was?«, fragte Will überrumpelt.
»Nun, Rachel will wissen …«, erklärte ihm Sarah und grinste dabei übers ganze Gesicht, »… Rachel will wissen, wie du das machen willst, Will. Wie willst du uns alle beschützen in solch komischen Hosen?«
»In was?«, fragte Will und spürte im selben Moment die luftige Kühle, die seine Oberschenkel umgab.
»Oh, bitte nicht!«, flüsterte er verzweifelt und schluckte erschrocken, als er den Grund dafür sah: Will war nicht nackt. Nein, er trug eine Hose. Aber ob das jetzt besser war, wusste er nicht. Er trug eine Hose mit Spitzen und Rüschen und einer Klappe am Popo, die man aufknöpfen konnte.
»So eine Hose hat meine Oma getragen!«, prustete Rachel und dann lachten sie los. Jo, Rachel und Sarah hielten sich ihre Bäuche und sie glucksten so lustig, so albern und schräg, dass letztlich auch Will mitlachen musste. Der wütende Will. Der zornige Will, der Will mit Humor und der glückliche Will. Ja, denn glücklich, das war er, das konnte er schwören.
DAS UNGLÜCK BEGINNT
D er weitere Abend war wie ein Abend im Märchen. Auf jeden Fall so, wie ihn sich Kinder vorstellen. Kinder, die kein Zuhause haben und auch keine Eltern. Die keine Ahnung haben, was der nächste Tag bringt und ob sie den nächsten Tag überhaupt überleben.
Das Spanferkel war mit Mandeln gespickt und die in Honig gebratene Haut war so knusprig und süß wie in Zucker gebrannte Nüsse. Der Apfelstrudel, den sie nicht als Dessert, sondern als Beilage aßen, schmolz auf der Zunge wie Eis und der Zimt zerfloss mit dem Honig des Ferkels in ihren Mündern zu einem See, in dem man sich wünschte, baden zu gehen. Ja, und deshalb erzählten sie sich ihre Träume. Sie vergaßen, wovor sie sich fürchteten. Sie vergaßen den Krieg, den Hunger, das Leid, und ihre Gesichter begannen zu leuchten.
Rachel und Sarah erzählten, wie sie zusammen mit ihrem Vater auf einem Pferd, dessen Hintern so dick und rund war wie ihre zum Platzen gefüllten Bäuche, durch Kornfelder ritten, die ihnen gehörten und die im Abendlicht glühten wie flüssiges Gold.
»Dann haben wir unser eigenes Essen«, schwärmten die Mädchen, und Jo stellte sich vor, dass die Sonne so rot war wie
ihre zerzausten Haare: »Und alles, was übrig bleibt, teilen wir mit Kindern, die so sind wie ihr.«
Sarah nahm Jos Hand und lachte ihn an.
»Als wären wir alle eine Familie«, flüsterte Rachel und zupfte an Wills rüschenbesetztem Ärmel.
»Eine Familie?« Der Junge schluckte. »Echt? … Und … wer gehört da alles dazu? Zu dieser Familie? … Jo! … Jetzt sag doch auch mal was«, stammelte Will. »Hast du vielleicht einen besseren … ähm,
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