Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
mit offiziellen Begehren nach Hagens Rücktritt und Strafverfolgung wegen der Kooperation mit den Piraten würde diese Maßnahme seine Karriere abrupt beenden. Und ohne sein Gouverneursamt besäße er für seine kriminellen Partner keinen Wert mehr; letztere zeigten oft eine gewisse Neigung, unbrauchbar gewordene Verbündete zu liquidieren, bevor diese sich unvermittelt in Kronzeugen verwandelten.
Honor verabscheute Manöver dieser Art, aber ihr Handlungsspielraum war begrenzt, und ein langsamer Prozeß mußte nicht unbedingt wirkungslos bleiben. Selbst wenn Hagen die Sanktionen überlebte, würden andere korrupte Gouverneure doch sehr genau verfolgen, was ihm widerfuhr. Die meisten von ihnen würden deswegen kaum vom Saulus zum Paulus werden, würden sich jedoch kriminelle Aktivitäten vielleicht etwas genauer überlegen, und alles, was die Operationen der Raider behinderte, mußte als Erfolg eingestuft werden.
Nun hatte sie sämtliche Informationen beisammen, die sie für diesen Teil der Operation benötigte, und im Weltraum trieben sich noch viele andere Piratenschiffe herum. Zeit, sich darum zu kümmern, dachte sie, hob die Hand, kraulte Nimitz an der Brust und wandte sich Lieutenant Kanehama zu. »Legen Sie einen Kurs nach Schiller fest, John«, sagte sie. »Wir wollen innerhalb der nächsten beiden Stunden aufbrechen.«
Ginger Lewis überwachte Electronics Mate Second Class Wilsons Gruppe während der Übung. Obwohl es ihr nach wie vor ein wenig seltsam vorkam, Aufsicht zu führen, ließ sie es sich nicht anmerken. Vor wenigen Wochen noch hatte sie zu Wilsons Gruppe gehört; nun war sie als Chief der Wache die Vorgesetzte des Petty Officers. Wenigstens mußte sie sich nicht mit dem Haufen herumschlagen, der Bruce Maxwell in Impeller Eins unterstand. Schon der Gedanke reichte aus, und sie fletschte die Zähne. Gingers Leute im Technischen Leitstand waren wenigstens so zivilisiert, daß die meisten Gingers umfassende Kenntnis der Materie genug respektierten, um sie als Vorgesetzte zu akzeptieren. Wilson hatte in eindeutiger Weise zu verstehen gegeben, daß er keine Probleme damit habe, Befehle von Ginger entgegenzunehmen, und das war sehr wertvoll gewesen. Die Leistungsbewertung ihrer Wache stieg konstant.
Eigentlich hätte sie deswegen uneingeschränkte Zufriedenheit empfinden sollen. Immerhin hatte sie in weniger als drei Monaten einen Sprung auf der Rangleiter gemacht, für den andere fünfzehn T-Jahre benötigten. Daß Lieutenant Commander Tschu und seine Offiziere wußten, wie gut sie mit ihrem neuen Posten zurechtkam, bedeutete vermutlich, daß sie den Rang auch behalten würde. Und das befriedigte sie zutiefst. Dennoch nagte ständig die Sorge um Aubrey an ihr, und ihre eigene Begegnung mit Steilman hatte nur die Gewißheit bestätigt, daß jemand diesen Hundesohn dringend in die Schranken weisen mußte – und zwar so, daß er es nicht mehr vergaß.
Möglich, daß genau diese Konfrontation mich paranoid gemacht hat , dachte sie, als Wilsons Leute die Übung noch weit innerhalb des gesetzten Zeitrahmens beendeten. Wilson blickte auf, und sie nickte ihm anerkennend zu, dann ging sie an den Befehlsstand und rief das Dienstlogbuch auf. Ihre Wache ging in zwanzig Minuten zu Ende, und Ginger beschäftigte sich damit, die Logeinträge für die Ablösung zu ergänzen. Doch selbst bei dieser Beschäftigung zerbrach sie sich unentwegt den Kopf über das Problem.
Mittlerweile war es ein offenes Geheimnis, daß Steilman derjenige war, der Aubrey zusammengeschlagen hatte. Daß der Energietechniker offenbar ungestraft davonkam, trug nur zu seinem Ruf bei. Zwar hatte die Kommandantin ihn für den Zwischenfall im Impellerraum wie mit einer Dampframme niedergeknüppelt – er war auf Dritte Klasse zurückgestuft worden und hatte fünf Tage in der Arrestzelle verbracht, was insgesamt die Höchststrafe für sein Vergehen darstellte. Die eisige Ansprache, die sie ihm gehalten hatte, hätte gewiß jeden vernünftigen Menschen auf den engen Pfad der Tugend zurückgeführt. Aber Steilman war nicht vernünftig. Je mehr Ginger über ihn erfuhr, desto fester war sie davon überzeugt, daß der Mann kaum noch bei Verstand war. Seine Degradierung und den Arrest hatte er nicht als Warnung verstanden, sondern als Beweis, mit Kirk Dempseys ›Unfall‹ davongekommen zu sein. Darüber hinaus verschaffte diese anscheinende Immunität Steilman nicht nur neiderfüllten Respekt bei den anderen »faulen Äpfeln«, sondern
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