Honor Harrington 7. In Feindes Hand
niemand mit dieser Frau in der gleichen Reihe saß. Die SyS-Leute verwendeten die Sitzreihe als eine Art Burggraben, um Honor der moralischen Unterstützung der anderen Offiziere zu berauben, indem man sie physisch von ihr trennte. Und sie war sich völlig darüber im klaren, daß es sich dabei nur um den ersten Schritt handelte.
Ransoms Absichten standen Honor deutlich vor Augen. Im Laufe der Jahre hatten die Sicherheitsdienste der Volksrepublik entdeckt, daß es bei weitem am effektivsten war, wenn Unruhestifter einfach ›verschwanden‹. Die InAb der Legislaturisten hatte diese Taktik oft genug gegen Regimegegner eingesetzt, doch erst von der Systemsicherheit war die Methode zu einem Instrument der Einschüchterung geschmiedet worden, vor dem sich niemand mehr sicher wähnen konnte. Sie funktionierte, denn was konnte schrecklicher sein, als unter der ständigen Bedrohung zu leben, daß jederzeit Menschen, an denen man hing, einfach verschwinden mochten? Ihr Tod wäre zwar ebenfalls schrecklich gewesen, doch stellt der Tod immerhin ein Ende dar, einen Abschluß. Ein Verschwinden hingegen öffnet der Ungewißheit Tür und Tor und dem grausamsten aller Gefühle: der Hoffnung, daß der oder die Verschwundene doch noch lebt – irgendwo. Dieses Druckmittel ist auch deshalb so effektiv, weil es gewissermaßen Kreise zieht: Ein einziger ›Verschwundener‹ hält leicht ein Dutzend anderer Menschen in Schach, weil sie hoffen, ihr Wohlverhalten könnte der Person, an der sie hängen, das Leben und vielleicht sogar die Freilassung erkaufen.
Honors Fall hingegen lag anders, denn Ransom hatte die Konfrontation vor den Kameras geschickt choreographiert, um sie zur Rechtfertigung von Honors Exekution heranziehen zu können. Trotzdem hielt sie sich die Möglichkeit offen, auf eine Verbreitung der Aufnahmen zu verzichten; als Ministerin für Öffentliche Information konnte sie jeden Bericht nach Gutdünken unterdrücken. Honor bezweifelte allerdings, daß Ransom diesen Schritt ginge; die Ministerin würde darauf bedacht sein, daß alle ihre Feinde, innere wie äußere, echte wie eingebildete, von Honors Schicksal erfuhren, und deshalb würde Honors Tod als Sondermeldung durch die Abendnachrichten gehen. Sie erinnerte sich an die unheilverkündenden Warnungen vor ›gewalttätigen Szenen‹, die ›für Jugendliche nicht geeignet‹ seien; diese Heuchelei ging jeder Sendung voraus, in der gezeigt wurde, wie die ›Volksfeinde‹ ihre Verbrechen sühnten. Auf distanzierte Weise war sie im Grunde erstaunt darüber, daß man sie nicht schon längst erschossen hatte. Im Barnett-System mußte es etliche abgeschiedene Stellen geben, wo man eine unwesentliche Kleinigkeit wie ihre Hinrichtung erledigen konnte. Weshalb also sandte man sie eigens ins ferne Camp Charon?
Sinnlos, über solche Details zu grübeln, doch Honor konnte nicht aufhören. Über die eigene Ermordung nachzusinnen faszinierte sie in schrecklicher Weise, und mit einemmal kam ihr der Gedanke, ob Ransom das Camp Charon etwa deswegen als Hinrichtungsstätte ausgesucht hatte, um der Öffentlichkeit die Existenz des Lagers zu bestätigen. In diesem Fall markierte der Entschluß die grundlegende Abkehr von einer Richtlinie, der das Amt für Innere Abwehr und später auch die Systemsicherheit jahrzehntelang gefolgt war. Honor überlegte distanziert, ob sie sich geschmeichelt fühlen solle, Katalysator dieses Kurswechsels zu sein.
Mehr als siebzig Jahre lang hatten zuerst die Legislaturisten und dann das Komitee für Öffentliche Sicherheit bestritten, daß es einen Planeten namens Hades oder ein Straflager namens Camp Charon gebe.
Deren Existenz sei nichts weiter als ein böswilliges Gerücht, das Dissidenten in Umlauf gesetzt hätten, ohne daß irgendeine reelle Grundlage existiere. Die Dementi der Legislaturisten hatten so gut miteinander im Einklang gestanden, daß die Nachrichtendienste des Sternenkönigreichs ernstlich erwogen hatten, ihnen zu glauben. Mehr als ein Sachverständiger hatte darauf hingewiesen, daß Gerüchte über die Existenz eines solchen Straflagers die havenitische Bevölkerung beinahe ebenso wirksam einschüchtern könnten wie die Existenz des Lagers selbst. Dahingegen sei es weitaus kostengünstiger, den Gerüchten Nährboden zu verschaffen, als wirklich ein Camp Charon einzurichten.
Dennoch glaubte man allgemein an die Existenz des Lagers. Einige Dutzend einstmals ›verschollene‹ Regimegegner waren später ›rehabilitiert‹ worden, und
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