Honor Harrington 7. In Feindes Hand
sie zeigte abfällig auf die Knienden – »an Bord gebracht werden, Bürgerin Captain. Ich bin sicher, wir finden dort eine angemessene Unterbringung für sie.«
»Sofort, Bürgerin Committeewoman!«
Erneut salutierte die Bürgerin Captain und setzte ihren Trupp mit einer knappen Geste in Bewegung. Mit Gewehrkolben wurden die Gefangenen auf die Füße gebracht und aus der Wartehalle getrieben. Wer nicht selbständig gehen konnte, wurde mitgeschleift. Thomas Theisman blickte ihnen nach und ahnte plötzlich, daß er sich nie wieder sauber fühlen würde.
22
Schmerz.
Ein tosender Ozean aus Schmerz, der feurige Sturzwellen aus brennendem Schmerz durch ihr Gehirn sandte. Brechern gleich suchten sie ihre Gedanken unter sich zu zerschmettern. Sie biß die Zähne zusammen, um ein peinerfülltes Stöhnen zu unterdrücken. Ihr Verstand verweigerte die Mitarbeit, und doch wußte sie, daß die furchtbare Qual nur zu einem ganz kleinen Teil auf ihre eigenen Verletzungen zurückzuführen war. Sie spürte Abschürfungen und Schwellungen, wo sie von den Gewehrkolben getroffen worden war, doch der Schmerz der Knochenbrüche und Muskelrisse gehörte zu jemand anderem. Ihre Seele schrie auf, als eine neue Schmerzwelle von Nimitz auf sie überschlug.
Sie öffnete die Augen und blinzelte benebelt. Benommen versuchte sie, ihre Umgebung zu einem zusammenhängenden Bild zu vereinen. Dazu brauchte sie etliche Sekunden, die sich zäh dahinschleppten, und erst als sie verstrichen waren, begriff sie, daß sie nach vorn und zur Seite gesunken in den Sicherheitsgurten eines Shuttlesitzes hing und aufs Deck stierte. Weitere Sekunden verstrichen, bis ihr klar wurde, was sie dagegen unternehmen konnte.
Sie mußte sich im Sitz aufrichten. Doch die Handschellen, mit denen ihr die Arme auf den Rücken gefesselt waren, erleichterten diesen Versuch nicht gerade. Ihre Sicht verschwamm, als ein neuerlicher Schmerzansturm von Nimitz ihr die Tränen in die Augen trieb. Noch immer umschloß sie die denkwürdige Verbindung, die in ihrer Intensität fast einer Verschmelzung gleichkam und die sie im Augenblick höchster beiderseitiger Verzweiflung zu ihm besessen hatte, und ihr Gesichtsfeld erschien fast verdoppelt. Das war nicht allein eine Nachwirkung der empfangenen Schläge, denn während sie das Deck und die vordere Schottwand der Passagierkabine sah, blickte sie gleichzeitig durch Nimitz’ Augen Fritz Montaya an, der sich gerade besorgt über den Baumkater beugte. Fritz betastete Nimitz sehr sanft, und doch durchschoß ihn und Honor bei der leisesten Berührung neue Qual. Der Teil von ihnen, der noch immer Honor war, hoffte inbrünstig, daß Fritz wußte, was er tat. In menschlicher Physiologie war er ausgebildet, nicht in sphinxianischer, und sie versuchte ihre panische Furcht vor seiner möglichen Unwissenheit im Keime zu ersticken, bevor die Hälfte von ihnen, die Nimitz war, sie bemerkte.
Erneut mußte sie blinzeln, biß die Zähne zusammen und kämpfte gegen die Dualität der Sinneseindrücke an. Das war schwer – so schwer –, denn jede Faser ihres Seins schrie danach, mit Nimitz vereint zu bleiben, und in der Hoffnung sein Leid zu teilen, es dadurch lindern und ihm zeigen zu können, daß er nicht allein stand. Aber zu stark sog an ihr der Strudel aus Schmerz, Angst und Not – letztere nicht nur von ihr, sondern allen Gefangenen im Shuttle empfunden. Die Empfindungen raubten ihr die Denkfähigkeit. Nimitz war zu tief in seiner Qual versunken, um ihre Nähe überhaupt zu bemerken. Deshalb kämpfte sie so hart darum, sich von ihm zu lösen und wieder sie selbst zu sein.
Als es ihr endlich gelang, weckte der Erfolg in ihr tiefe Beschämung, als hätte sie den ‘Kater im Stich gelassen. Das Bedürfnis, wenigstens körperlich bei ihm zu sein, ließ sie die Muskeln anspannen und sich gegen die Handschellen aufbäumen, als könnte sie die Fesseln brechen – als glaubte sie, wirklich zu ihm gehen zu dürfen, wenn sie sich befreien konnte. Vergebliche Hoffnung! Sie würde sich nur noch weitere Wunden zufügen, und hätte sie sich tatsächlich befreien können, wäre sie von den SyS-Wächtern erneut zusammengeschlagen worden, sobald sie versuchte, sich Nimitz zu nähern. Soviel war sicher. Sie biß die Zähne zusammen und mühte sich um Selbstbeherrschung.
Der Schmerz, der auf sie eindrang, bewies ihr wenigstens, daß Nimitz noch lebte. Am liebsten hätte sie vor Erleichterung laut geschluchzt. Wieso lebte er noch? Das konnte sie kaum
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