Honor Harrington 7. In Feindes Hand
stellte sie fest, denn ihre Gedanken wiesen noch immer jene eigenartige, kristallene Klarheit auf. Keine folgerichtigen Gründe, nein, doch ein Motiv verlor nicht an Wichtigkeit, nur weil es unlogisch war.
Am Ende würde niemand außer den Havies und ihr wissen, wie sie sich verhalten und ihr Los getragen hatte. Niemanden kümmerte, wie sie dem Schicksal ins Auge blickte – niemanden außer ihr. Und genau das war der springende Punkt. Ihr bedeutete es sehr wohl etwas, wie sie sich dem Tod stellte. Wenn sie starb, und wenn Nimitz mit ihr sterben mußte, dann sollten sie aufrecht in den Tod gehen. Nicht, weil Honor Offizier der Königin war, und nicht einmal, weil sie ihren Leuten ein Beispiel schuldete. Beides war unbestreitbar wahr, und beides war auch wichtig. Obwohl diese Identität und diese Schuldigkeit einen wesentlichen Bestandteil ihres Ichs bildeten, zählte letztendlich beides nur wegen der persönlichen Bedeutung, die beides für Honor besaß, und nicht aufgrund dessen, was jemand anderer davon hielt. Nein. Der eigentliche Grund, weshalb Honor die Selbstaufgabe verweigerte, bestand in der Selbstachtung, die sie und Nimitz sich schuldig waren. Sie mußten sich einfach auflehnen gegen Unmenschen wie die SyS-Frau hinter ihr, die zu allem Erforderlichen bereit waren, um ihnen diese letzte Selbstachtung zu nehmen. Zwar forderte jeder Widerstand die Wärter zu noch willkürlicheren Schikanen und Mißhandlungen auf, aber plötzlich spürte Honor, wie eine unterschwellige Kraft sie durchströmte.
Mit der Kraft, die Honor heraufbeschwor, wenn sie ein Schiff ins Gefecht führte, hatte diese unterschwellige Energie wenig zu tun, und ähnelte auch nicht dem Mut, den sie wie einen Panzer anlegte, wenn sie ihren Leuten in den drohenden Tod voranging. In diesem Moment auffälliger Klarheit, in dem Honor sich selbst ins Gesicht blickte, begriff sie, daß die Kraft, die sie bei jenen Gelegenheiten beschworen und auf die sie sich verlassen hatte, immer ein gewisses Element enthielt, das gespielter Tapferkeit nahekam – etwas, das durchaus real war, aber nicht für sie bestimmt, sondern für andere. In mancher Hinsicht handelte es sich dabei um eine Gabe, eine Befähigung, die sie von außerhalb erhielt und die ihr gestattete, Menschen selbst dann noch mitzureißen, wenn es außer Honors Charisma keine andere Hoffnung mehr gab; ein Sammelbecken von Pflicht und Verantwortung, von Entschlossenheit, ihre Aufgaben zu erfüllen, weil das Leben anderer davon abhing und sie sich auf Honor verließen – weil sie einen Eid geschworen hatte und lieber gestorben wäre als ihn zu brechen – weil die Regeln von ihr verlangten, das Spiel bis zum letzten Zug durchzuhalten. Und jenseits dieser Kreuzung, an der sich die Pfade der Pflicht, der Entschlossenheit und der Bedürfnisse anderer trafen, stand die Tradition, das Beispiel der großen Kommandanten des Sternenkönigreichs, die gleichzeitig als inspirierendes Vorbild und als Herausforderung dienten. Wie oft war sie in die Fußstapfen von Edward Saganami oder Travis Webster oder Ellen D’Orville getreten, ohne auch nur zu ahnen, was sie tat – ohne sich dessen im geringsten bewußt zu sein?
Doch die Kraft, von der sie sich nun durchströmt fühlte, hatte mit diesen äußeren Quellen oder dem Bedürfnis, anderen zum Wohl ihre Pflicht zu tun, nicht das geringste zu tun. Zum erstenmal, seit sie zurückdenken konnte, befand Honor Harrington sich in einer Position, in der all das nichts zählte. Halt, ganz so war es auch nicht! Die Tradition der Flotte zählte durchaus, aber augenblicklich stand sie nur an zweiter Stelle und wirkte sich weniger auf Honors Moral aus als sonst. Nun stand ihre Pflicht sich selbst und Nimitz gegenüber im Vordergrund – das war ihre Kraft, ihre und Nimitz’ Kraft, die sie nun erfüllte und die Verzweiflung aus ihren Augen verscheuchte.
Ist schon komisch , dachte sie. Nun war sie an einen Punkt gelangt, an dem sie begriff, daß alles, was sie war und hätte sein können, enden mußte und ausgelöscht werden sollte, nur um ausgerechnet dort ihre wahre Kraft zu finden, die in ihrem Innersten schlummerte. Nun, da Honor sie gefunden hatte und mit blanken geistigen Augen musterte, sah sie, daß diese Kraft keine Grenzen kannte. Die Kraft mochte schwinden und sogar für eine Weile aus Honor vertrieben werden. Wieder und wieder konnte sie unterdrückt und ihr entrissen werden, aber die Kraft würde immer zurückkehren, denn die Kraft war Honor, und Honor war
Weitere Kostenlose Bücher