Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
und zählte lautlos bis zehn, dann ließ sie sich langsam wieder in den Sessel sinken. Sie lehnte sich zurück und saß regungslos, während sie ihr Gegenüber mit völlig ausdruckslosem Gesicht kühl betrachtete, und segnete mit einem Nebengedanken Alistair McKeon für seine weise Voraussicht.
Über die Möglichkeit hatte sie zwar nie wirklich nachgedacht, bevor es Harkness’ Maulwurfteam gelang, sich endgültig durch die havenitischen Sicherheitssperren zu graben, aber auf Hell war sie keineswegs ranghöchster Offizier der RMN. Harry Styles war der ranghöchste, und dadurch hätte eine Vielzahl von Problemen entstehen können. Die Gefangenen von Camp Inferno vertrauten Honor und hatten sich ihr verschworen, nicht aber einem Offizier, den sie nicht kannten, doch wenn Styles die nötige Seniorität besaß, dann gehörte die Befehlsgewalt logischerweise – oder wenigstens legal – ihm.
Nicht einmal so viele Worte hatte McKeon gebraucht und seine Meinung über diese Möglichkeit trotzdem eindeutig klargemacht. Honor hatte augenblicklich den Verdacht gehabt, dass McKeon in der Vergangenheit unter Styles gedient habe, denn es sah ihm überhaupt nicht ähnlich, solch ungemäßigte Abneigung gegen einen anderen Mensehen zu empfinden. Natürlich konnte sich auch McKeon in einem Vorgesetzten täuschen oder dem Effekt unterliegen, den man seit alters her als ›schlechte Chemie‹ bezeichnete; das wusste Honor aus eigener Erfahrung zu sagen. Doch zugleich kannte sie McKeon gut genug, um zu wissen, dass er sich in solch einer Situation fast zwangsläufig unbehaglich fühlte, aus dem Gleichgewicht gebracht und verwirrt. Dann wirkte er meist so, als wüsste er, dass irgendetwas mit seinem Urteilsvermögen nicht stimmte, und könnte nur noch nicht genau sagen, woran das lag.
Doch welche Beweggründe McKeon auch besaß, seine indirekte Warnung vor Styles erwies sich als Volltreffer, und Honor war sehr froh, dass sie seinen Rat, wie sie mit dem Konteradmiral umspringen sollte, beherzigt hatte.
Seit zwei Wochen kontrollierte Honor die Insel Styx, und Henri Dessouix hatte zu seinem Entzücken ein ganzes Lagerhaus voll SyS-Uniformen gefunden, das allerdings auch Gewebeextruder und Nähautomaten besaß. Nach einer leichten Umprogrammierung der Nähmaschinen und einiger Änderungen an den Extrudern war er in der Lage, den entkommenen Gefangenen passende Uniformen herzustellen.
Einige Gefangene wie Harriet Benson oder auch Dessouix selbst waren schon so lange auf Hell, dass sie sich nur noch verschwommen erinnerten, wie ihre Uniformen auszusehen hatten. Natürlich gab es auch keinerlei Nachschlagewerke, die weiterhalfen, denn die Sternnationen, die einst diese Uniformen ausgegeben hatten, waren längst im Aschehaufen der Geschichte verschwunden … und im Maul der alles verschlingenden Volksrepublik. Trotzdem glaubte Honor zu wissen, dass niemand sich über geringfügige Fehler der Kleidung beschweren würde, denn alle (außer vielleicht Horace Harkness) empfanden große Erleichterung, endlich wieder eine Uniform anziehen zu können. Dabei ging es nicht nur darum, in eine Welt zurückzukehren, die man kannte, obwohl auch das unleugbar eine große Rolle spielte. Die Uniformen unterstrichen eher, welche Statusänderung die Gefangenen unter Honors Befehl erlangten, ein formeller Beweis dessen, was sie bereits erreicht hatten, und sichtbarer Ausdruck von allem, was sie zusammenhielt und zu einer Einheit machte.
Auf McKeons sehr nachdrücklich vorgebrachte Bitte hin hatte Honor nicht manticoranisches Schwarz und Gold angelegt, sondern vielmehr die blau in blaue Uniform der Grayson Space Navy; diese Montur zeigte die fünf sechszackigen Sterne ihres augenblicklichen graysonitischen Ranges. Als Jesus Ramirez sie darin zum ersten Mal erblickte, riss er die Augen auf, doch eigentlich zeigte er sich weniger überrascht als erwartet, denn Honors Leute hatten Zeit und Gelegenheit genug erhalten, ihn und die übrigen Infernoiten über Honors Karriere auf Grayson ins Bild zu setzen. Und so schnell seine Augen sich weiteten, so schnell schlug sein Blick in Anerkennung um, denn McKeon sollte Recht behalten: Es mochte mehr als ein alliierter Flaggoffizier auf Hell in Gefangenschaft sein, doch war es mehr als unwahrscheinlich, dass sich darunter ein zweiter Flottenadmiral fand.
Honor war sich zunächst ein wenig lächerlich vorgekommen, derart mit ihrem Rang in der GSN zu protzen, so sehr er ihr auch zustand und sie ihn sich verdient hatte, aber
Weitere Kostenlose Bücher