Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
seinem Rücken. Er wirbelte herum – so schnell, dass Lieutenant Carlucci einen Schritt zurücktrat –, und irgendwie gelang es ihm, sie nicht anzufunkeln. Selber schuld, sagte er sich. Carlucci befehligte seit fast fünf Monaten das Marineinfanteriekontingent von Basilisk Control, und mittlerweile hätte er die leise, katzenhafte Art ihrer Bewegungen eigentlich gewöhnt sein müssen.
»Ach, da sind Sie ja«, sagte er gerade so betont, dass sie errötete. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er diesen kleinen Triumph genossen, denn Lieutenant Carlucci war immerwährend beherrscht und gelassen, dazu attraktiv und jung. Doch heute hatte Reynaud anderes im Kopf, und er blickte der schlanken, drahtigen Marineinfanteristin grimmig in die großen wasserblauen Augen.
»Haben Sie gehört, was ich Al und Gus gesagt habe?«, fragte er, und sie nickte, ohne das leichte Unbehagen zu zeigen, das sie angesichts des beiläufigen und höchst unmilitärischen Umgangstons im ALD gewöhnlich empfand. »Gut«, sagte Reynaud noch grimmiger, »denn Sie sollen ihren Befehlen ein wenig Nachdruck zu verleihen, wenn einige dieser Skipper tatsächlich in Panik reagieren. Kein Problem?«
»Kein Problem, Admiral«, antwortete Carlucci klanglos.
Im Gegensatz zu seinen Leuten salutierte sie zackig vor ihm, und Reynaud ertappte sich dabei, wie er die Ehrenbezeugung ohne nachzudenken erwiderte, wenngleich weit unpräziser. Dann drehte sie sich um und ging im Eilschritt davon – doch Reynaud wusste, dass sie in einen Sprint verfallen würde, sobald er sie nicht mehr sah. Nun, das sollte Michel Reynaud nur recht sein. Lady Harrington hatte vor zwölf Jahren eine Tradition begründet, indem sie dem ALD zwei Pinassen zur Verfügung stellte, um ihn bei der Bekämpfung des Schmuggels zu unterstützen. Heutzutage waren es zwölf Pinassen, nicht zwei, und die Bemannung wurde dem ALD Basilisk vom Royal Manticoran Marinecorps direkt zugeteilt. Die Zwillingspulserkanone einer Pinasse und ihr Lasergeschütz waren im Vergleich zu den Bordwaffen eines Kriegsschiffs zwar nicht mehr als Erbsenpistolen, doch sie genügten, um unbewaffnete und ungepanzerte Handelsschiffe notfalls in die Schranken zu weisen. Außerdem waren Cynthia Carlucci und ihre Marinecorpsbesatzungen bereit, ihre Waffen augenblicklich einzusetzen, wenn die Situation es erforderte, das wusste Reynaud mit Sicherheit.
Hoffentlich waren sich auch die Handelsschiffer darüber im Klaren.
Vizeadmiral der Roten Flagge Silas Markham gelang es nur mit äußerster Willensanstrengung, ruhig auf seinem Platz in der Pinasse sitzen zu bleiben. Vor elf Minuten hatte er noch bequem in seinem hübschen Büro an Bord der Raumstation Medusa Gold-Eins gesessen, dem relativ neuen Navy-Hauptquartier von Basilisk Station. Bis zu den Ellbogen steckte er in langweiliger, frustrierender Schreibtischarbeit und war wie üblich darüber verärgert, dass die Wachverbände im Laufe der letzten sieben T-Monate derart geschwächt worden waren, auch wenn er die Gründe dafür nachvollziehen konnte. Verdammt, er hatte dem sogar zugestimmt! Das machte es aber nicht angenehmer, als Vizeadmiral zusehen zu müssen, wie man seine Verbände peu à peu reduzierte, bis etwas übrig blieb, für das selbst ein Konteradmiral noch zu ranghoch gewesen wäre, hätte der Posten sich nicht zufällig nur einen Wurmlochtransfer vom Manticore-System entfernt befunden.
Doch Markham hatte nichts anführen können, um den Abzug eines Schiffes nach dem anderen zu verhindern. Ein ganzes Jahrzehnt lang hatten die Haveniten sich nicht mehr in der Nähe des Basilisk-Systems blicken lassen. Es lag in einem unbedrohten Sektor, viel zu weit hinter der Front, als dass die Volksflotte, die seit dem Putsch auf Defensive bedacht war, es jemals angreifen würde. Und sollte sich das je ändern, stand die gesamte Homefleet nur einen Transit entfernt. Wenn sich doch einmal Havies in diesen Sektor verirrten, blieb genug Zeit, die Wachverbände von Basilisk Station durch das Wurmloch wieder zu verstärken.
Nun schien es aber, als hätte niemand daran gedacht, den Havies zu sagen, dass sie eigentlich zu sehr auf Verteidigung bedacht und zaghaft seien, um einen solchen Tiefenvorstoß zu unternehmen … Denn so sicher wie die Hölle ein Monopol auf Schwefel hatte, so sicher drang nun jemand ins Basilisk-System ein, um Markhams Kommandogebiet in ein qualmendes Trümmerfeld zu verwandeln. Die Admiralität – und leider auch er, wie er bitter zugeben musste –
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