Hornblower 01 - Fähnrich zur See Hornblower
ohne Fahrt wie eine Ente über die anrollenden Seen, dennoch krachten und knirschten alle Schotten und Verbände, als ob sie sich in einem schweren Sturm in Stücke segeln wollte. »Ach was«, sagte er sich vor, »das ist doch nur Einbildung, ein Schreckbild meiner überreizten Phantasie.« Er rieb sich gründlich trocken, bis er wieder etwas wie Wärme in den Gliedern fühlte, und fuhr in den Sonntagsanzug des Kapitäns.
Dann aber hielt er von neuem lauschend inne. Die Brigg krachte wirklich in allen Fugen, als ob sie auseinanderbrechen wollte.
Er ging wieder an Deck, um sich vom Stand der Arbeit an dem Lecksegel zu überzeugen. Noch war er keine zwei Minuten oben, da ließ einer der Franzosen plötzlich den Arm sinken, als er eben nach einem neuen Kardeel hinter sich langen wollte, und starrte eine Weile regungslos auf das Deck zu seinen Füßen. Er stocherte mit dem Finger in einer Decksnaht, dann sah er sich suchend nach Hornblower um und rief ihn herbei. Hornblower brauchte nicht zu verstehen, was der Mann sagte, seine Gesten sprachen deutlich genug. Die Decksnaht hatte sich ein wenig geöffnet, und das Pech quoll daraus hervor. Hornblower sah sich dieses seltsame Phänomen aufmerksam an, wußte es jedoch nicht zu erklären. Nun, die offene Stelle maß immerhin nur einen bis zwei Fuß, das ganze übrige Deck war dicht und in bester Ordnung. Oder war es etwa doch nicht so? Nachdem seine Aufmerksamkeit einmal geweckt war, suchte er weiter und fand richtig noch zwei andere Stellen, wo das Pech wie eine Wulst aus der Naht gequollen war. Er stand vor einem Rätsel.
Weder seine magere Erfahrung noch seine umfangreiche Lektüre lieferten ihm eine Erklärung für diesen geheimnisvollen Vorgang. Der französische Kapitän war an seine Seite getreten und starrte ebenfalls auf das Deck.
»Die Ladung!« sagte er. »Sie - sie wird größer und größer.«
Matthews war ebenfalls herzugekommen. Obwohl er kein Wort Französisch verstand, hatte er die Geste des Kapitäns sofort richtig begriffen. »Habe ich recht gehört?« fragte er. »Das Schiff hat eine Reisladung an Bord?«
»Ja.«
»Dann wissen wir Bescheid. Der Reis hat Wasser gezogen, jetzt quillt er auf.«
Natürlich. Wenn man trockenen Reis in Wasser einweicht, dann quillt er alsbald auf das zwei- bis dreifache Volumen. Die Ladung quoll auch und sprengte die Nähte des Schiffes mit unwiderstehlicher Gewalt. Hornblower dachte wieder an das unnatürlich laute Krachen und Ächzen unter Deck. Er durchlebte einen der schmerzlichsten Momente seines Daseins, sein Blick schweifte über die kalte, erbarmungslose See hinaus, als ob er sich von dort Erleuchtung und Hilfe erwartete. Aber das Wunder blieb aus. Sekunden vergingen, ehe er wieder Worte fand und sich imstande fühlte, die Haltung zu wahren, die sich für einen Seeoffizier auch in den schlimmsten Lagen geziemte.
»Je eher wir das Lecksegel über das Schußloch bekommen, desto besser«, sagte er endlich. Es wäre wohl zuviel verlangt gewesen, hätte er sich jetzt auch noch um ruhige Gemessenheit bemühen sollen. »Machen Sie endlich diesen Franzosen Beine, daß sie fertig werden.«
Während er noch sprach, fühlte er plötzlich einen scharfen Ruck unter den Füßen, wie wenn jemand mit einem Hammer von unten gegen das Deck geschlagen hätte. Das Schiff platzte langsam aus den Nähten.
»Beeilt euch mit dem Segel!« schrie er auf die Arbeitsgruppe ein, dann ärgerte er sich über sich selbst, weil er mit seinem Gebrüll eine Aufregung verraten hatte, die eines Offiziers unwürdig war.
Endlich waren fünf Quadratfuß des Segels gefüttert. Nun wurden Leinen durch die Grummets geschoren, und die Arbeitsgruppe eilte nach vorn, um das Segel unter das Schiff zu bringen und es von dort bis zum Leck achteraus zu holen.
Hornblower warf seine Kleider ab, nicht etwa aus Rücksicht auf das Eigentum des Kapitäns, sondern um sie für den eigenen Gebrauch trocken zu halten.
»Ich gehe außenbords, um zu sehen, daß das Segel an die richtige Stelle kommt«, sagte er. »Matthews, einen Pahlstek.«
Nackt und naß hing er an der Bordwand, es schien ihm, als bliese der kalte Wind durch ihn hindurch; sooft das Schiff rollte, scheuerte er mit dem Körper an den Planken und verlor dabei ganze Fetzen Haut, jede am Schiff entlangrollende See schlug erbarmungslos mit lautem Klatschen über ihm zusammen. Aber er hielt aus, bis das gefütterte Segel genau vor dem Loch saß, und sah zu seiner größten Freude, daß sich die haarige
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