Hornblower 01 - Fähnrich zur See Hornblower
dauern.«
Hornblower trat mit ihm an die Reling und sah an der Bordwand hinunter. Ja, der Mann hatte ohne Zweifel recht. Er selbst war ja außenbords gewesen und wußte noch recht gut, wo die Wasserlinie gewesen war. Noch besser war der Anhalt, den ihm die Oberkante des Lecksegels bot. Demnach lag die Brigg schon wieder einen guten halben Fuß tiefer im Wasser als zuvor - und das, obwohl man inzwischen mindestens fünfzig Tonnen Reis über Bord geworfen hatte. Das Schiff leckte offenbar wie ein Sieb, das Wasser drang durch die klaffenden Nähte herein, und der durstige Reis sog es sofort bis zum letzten Tropfen in sich auf. Hornblower fühlte, daß ihn die linke Hand schmerzte.
Erst als er hinsah, merkte er, daß ihm das Blut aus den Fingern gewichen war, weil er sich ganz unbewußt mit aller Kraft in die Reling krallte. Nun lockerte er seinen Griff, sein Blick suchte die Sonne, die sich schon zum Abend neigte, und wanderte über die wogende See. Er wollte sich um keinen Preis geschlagen geben, schon der Gedanke daran schien unerträglich. Jetzt trat der französische Kapitän an seine Seite. »Das ist doch heller Wahnsinn«, sagte er, »so geht es wirklich nicht weiter, Sir.
Meine Leute sind am Ende ihrer Kraft, sie sind ganz einfach fertig.«
Hornblower sah, wie Hunter die französischen Matrosen mit einem Tauende zur Arbeit trieb und dabei rücksichtslos dreinschlug. Aber wie er auch tobte und schrie, aus diesen Menschen vermochte er auch mit Gewalt nichts mehr herauszuholen. In diesem Augenblick hob sich die Marie Galante schwerfällig auf den Kamm einer See und sackte gleich darauf in das folgende Wellental. Selbst der unerfahrene Hornblower mußte zu seinem Schrecken erkennen, wie träge und leblos sie sich dabei benahm. Er mußte sich sagen, daß das Schiff fast keinen Auftrieb mehr hatte und daher nicht mehr lange schwimmen konnte. Wollte man aber auf das Schlimmste gefaßt sein, dann gab es noch eine Menge zu tun.
»Matthews«, sagte er, »ich möchte sofort alle Vorbereitungen zum Verlassen des Schiffes getroffen haben.«
Bei diesen Worten drückte er das Kinn besonders energisch nach vorn, weil er auf keinen Fall wollte, daß ihm die Franzosen oder seine eigenen Leute anmerkten, wie verzweifelt er war.
»Aye, aye, Sir«, sagte Matthews.
Die Marie Galante fuhr ein Rettungsboot in Klampen hinter dem Großmast. Auf Matthews' Anordnung ließen die Männer jetzt ihre Arbeit in der Ladung liegen, um dieses Boot in aller Eile mit Proviant und Wasser auszurüsten. Dann bemannten sie die Bootstakel, heißten es aus den Klampen und fierten es in Lee des Achterdecks zu Wasser, wo sich leidlicher Schutz gegen Wind und Seegang bot. Die Marie Galante steckte ihre Nase in eine See, weil sie nicht mehr die Kraft besaß, sich auf ihren Kamm zu heben, grünes Wasser brach über ihren Steuerbord-Bug und strömte über das ganze Deck nach achtern, bis sich die Brigg plötzlich träge zur Seite wälzte und ihm den Weg nach den Speigatten wies. Man durfte nicht mehr viel Zeit verlieren - abermals gab ein besonders heftiges, dumpfes Krachen von unten her Kunde, daß die Ladung unbarmherzig weiterquoll und alle Widerstände sprengte. Unter den Franzosen brach eine richtige Panik aus, sie rannten mit lautem Geschrei achteraus und stürzten sich in wilder Flucht ins Boot. Der französische Kapitän maß Hornblower mit einem stummen Blick und folgte ihnen dann nach. Zwei der britischen Matrosen waren ebenfalls schon von Bord gegangen, um das Boot vom Schiff freizuhalten.
»Los, ins Boot«, sagte Hornblower zu Matthews und Carson, die noch zögerten.
Er war hier Kommandant und durfte daher sein Schiff nur als Letzter verlassen. Die Brigg lag jetzt schon so tief, daß es ein leichtes war, von Deck ins Boot zu gelangen. Die britischen Matrosen saßen sämtlich in der Achterpiek und machten ihm Platz.
»Nehmen Sie das Ruder, Matthews«, sagte Hornblower, weil er sich die Führung dieses überladenen Fahrzeugs doch nicht so recht zutraute. »Setz ab vorn!«
Das Boot hatte abgelegt, die Marie Galante wälzte sich mit festgelaschtem Ruder in der See. Sie drehte allmählich ihre Nase in den Wind und blieb dann unentwegt so liegen. Plötzlich zeigte sie so starke Schlagseite, daß die Steuerbord-Speigatten fast im Wasser verschwanden. Noch einmal rauschte eine See über ihr Deck und in das offene Ladeluk. Da richtete sie sich langsam auf und lag nun schon so tief, daß das Deck kaum noch aus dem Wasser ragte. Dann sank sie auf
Weitere Kostenlose Bücher