Hornblower 01 - Fähnrich zur See Hornblower
blockierte und dabei nicht nur feindlicher Übermacht, Stürmen und Seuchen, sondern neuestens sogar dem drohenden Hunger Trotz bot.
»Da, sehen Sie!« rief Tapling plötzlich und deutete nach unten. Eine große graue Ratte war aus dem trockenen Ablaufrohr zum Vorschein gekommen, das hier am Ufer mündete. Ohne sich um den hellen Sonnenschein zu kümmern, setzte sie sich auf die Hinterbeine und sah sich in der Welt um.
Sie ließ sich nicht einmal ernstlich stören, als Tapling mit dem Fuß aufstampfte. Erst beim zweitenmal wandte sie sich langsam ab, um wieder in ihr Versteck zu kriechen, fiel dabei jedoch auf die Seite und wand sich sekundenlang vor der Mündung der Röhre am Boden. Schließlich raffte sie sich auf und huschte ins Dunkel zurück.
»Das muß eine sehr alte Ratte gewesen sein«, sagte Tapling nachdenklich, »wahrscheinlich schon taperig, vielleicht sogar blind.«
Hornblower machte sich nichts aus Ratten, ob sie nun alt waren oder jung. Er ging die paar Schritte zurück zur Barkaß, und der Beamte schloß sich ihm an.
»Setzen Sie das Großsegel, Maxwell, und trimmen Sie es so, daß es uns etwas Schatten gibt«, befahl er. »Wir werden noch den ganzen Nachmittag hier bleiben müssen.«
»Ein herrliches Vergnügen«, sagte Tapling und setzte sich auf einen Steinpoller dicht beim Boot, »hier unter den Heiden herumzusitzen. Wenigstens brauchen wir nicht zu befürchten, daß uns die Leute weglaufen. Und der Schnaps ist auch kein Problem - nur die Gerste und die Rinder... und wie ich jetzt einen Funken in den Zunder bekomme.«
Er zog seine Pfeife aus der Tasche und blies sie gründlich durch, ehe er sich ans Stopfen machte. Das Boot lag jetzt im Schatten des Großsegels, ein Teil der Bootsgäste saß leise plaudernd im Bug, andere hatten sich's nach Möglichkeit in der Achterpiek bequem gemacht. Die Barkaß rollte friedlich in der leisen Dünung, bei jeder ihrer Bewegungen knarrten die Fender zwischen Dollbord und Brücke in einschläferndem Rhythmus.
Stadt und Hafen lagen wie ausgestorben in der flirrenden Hitze des Nachmittags. Für einen tatendurstigen jungen Mann wie Hornblower war das lange Warten trotz der Hitze schwer zu ertragen. Er kletterte bald wieder auf die Brücke, um sich die Beine zu vertreten, und schlenderte vor dem Boot auf und ab.
Ein Maure in weißem Gewand und mit einem Turban auf dem Kopf kam in der Sonnenhitze taumelnd den Kai entlang. Er war unsicher auf den Beinen und setzte die Füße beim Gehen weit auseinander, um sich notdürftig im Gleichgewicht zu halten.
»Sagten Sie nicht, daß die Moslems den Alkohol verabscheuen?« sagte Hornblower zu Tapling, der am Heck des Bootes Platz genommen hatte.
»Das nicht«, entgegnete Tapling einschränkend, »er ist nur offiziell in Bann getan, sein Genuß verstößt gegen das Gesetz und ist unerlaubt, darum ist er sehr schwer zu bekommen.«
»Und doch scheint sich der Bursche dort ein gehöriges Quantum eingeschenkt zu haben«, sagte Hornblower.
»Das muß ich sehen«, rief Tapling und kletterte aus dem Boot. Die Bootsgäste im Bug der Barkaß stiegen ebenfalls an Land, um sich das Schauspiel anzusehen, weil ihnen das Warten allmählich langweilig wurde und weil sie von jeher für jedes Erlebnis zu haben waren, das irgendwie mit Schnaps zusammenhing.
»Weiß Gott, der sieht aus, als hätte er tüchtig ins Glas geguckt.«
»Der hat schwer Schlagseite, Sir«, sagte Maxwell, als der Maure stolperte.
»Jetzt läuft er aus dem Ruder«, ergänzte Tapling, als man ihn hilflos im Halbkreis herumtaumeln sah.
Zuletzt brach er in die Knie und stürzte wie vom Blitz gefällt auf sein Gesicht. Seine braunen Beine zuckten noch ein paarmal unter dem langen Gewand hervor, dann zog er sie an den Leib.
So blieb er, die Arme unter den Kopf geschoben, regungslos im Staub liegen. Sein Turban rutschte zu Boden und enthüllte den kahlgeschorenen Schädel, der nur ein winziges Haarbüschel trug.
»Entmastet«, sagte Hornblower. »... und gestrandet«, fügte Tapling hinzu. Der Maure wußte nichts mehr von seiner Umgebung.
»Da kommt Duras.«
Wie zuvor tauchte seine unförmige Gestalt auf dem kleinen Esel vor der Stadtpforte auf, aber diesmal folgte ihm ein zweiter Esel, der ebenfalls einen stattlichen Mann trug. Die beiden Esel wurden von Negersklaven geführt, und hinter ihnen drein zog eine Schar dunkelhäutiger Kerle, die so etwas wie eine Uniform trugen und mit Musketen ausgerüstet waren. Offenbar handelte es sich also um Soldaten.
»Der
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