Hornblower 01 - Fähnrich zur See Hornblower
unterstellt, Kapitän Pellow, dessen Befehlsgewalt unmittelbar vom König stammte, hatte sie ihm anvertraut.
Es war toll, wie rasch jetzt die Panik um sich griff. Der Schatzmeister war verschwunden, Duras' Negersklave hatte auf dem Esel seines verstorbenen Herrn das Weite gesucht. Die Soldaten hatten geschlossen die Flucht ergriffen, außer den Toten und Sterbenden war am Hafen keine Menschenseele mehr zu erblicken. Hier am Wasser zwischen Kai und Stadtmauer führte wahrscheinlich der Weg ins offene Land hinaus, wohin jetzt jedermann sehnsüchtig strebte. Die Engländer standen allein am Wasser, zu ihren Füßen lagen unberührt die goldgefüllten Säcke.
»Die Pest verbreitet sich durch die Luft«, sagte Tapling, »sogar die Ratten gehen daran ein. Wir haben uns stundenlang hier aufgehalten und waren - dem dort -«, er wies auf den sterbenden Duras, »so nah, daß wir mit ihm sprechen, daß wir seinen Atem im Gesicht fühlen konnten. Wer von uns kommt wohl als erster dran?«
»Das wollen wir ruhig der Zukunft überlassen«, sagte Hornblower. Sein Widerspruchsgeist reizte ihn dazu, dem verzweifelten Tapling mit Optimismus zu begegnen, außerdem wollte er nicht, daß die Männer hörten, was er daherredete.
»Und dann die Flotte!« sagte Tapling bitter. »Dieser Haufen Proviant« - er deutete auf die verlassenen Leichter - »wäre ein Geschenk des Himmels für sie. Die Besatzungen sind auf Zwei-Drittel-Rationen gesetzt.«
»Herrgott noch mal«, rief Hornblower, »da muß doch etwas zu machen sein! Maxwell, mannen Sie das Gold wieder ins Boot, und bergen Sie das Segel.«
Der Wachhabende Offizier an Bord Seiner Majestät Schiff Indefatigable sah die Barkaß von der Stadt zurückkommen. Eine leichte Brise hatte die Fregatte und die Caroline (das war das Proviantschiff) herumschwojen lassen. Merkwürdigerweise kam die Barkaß nicht längsseit, sondern lief von Lee her unter das Heck der Indefatigable .
»Mr. Christie«, rief Hornblower, der im Bug des Bootes stand.
Der Wachhabende Offizier kam an die Heckreling.
»Was ist los?« rief er. Hornblowers Verhalten gab ihm ein Rätsel auf.
»Ich muß den Kommandanten sprechen.«
»Dann kommen Sie doch an Bord und gehen Sie zu ihm hin.
Was soll denn...«
»Bitte melden Sie dem Kommandanten, daß ich ihn sprechen möchte!«
Pellow erschien am Heckfenster seiner Kajüte, da er die laute Unterhaltung nicht gut überhört haben konnte. »Was ist denn, Mr. Hornblower?« Hornblower berichtete ihm das Vorgefallene.
»Halten Sie die Ohren steif, Mr. Hornblower.«
»Jawohl Sir. Aber die Vorräte...«
»Was ist mit denen?«
Hornblower setzte ihm die Lage auseinander und knüpfte daran seinen Vorschlag.
»Ein etwas ungewöhnliches Verfahren«, überlegte Pellow, »und außerdem...«
Er hielt inne, weil er seine Befürchtung nicht laut verkünden wollte, daß vielleicht die ganze Barkassenbesatzung über kurz oder lang der Pest zum Opfer fallen würde.
»Wir kommen bestimmt damit klar, Sir. Es handelt sich immerhin um eine ganze Wochenration für das Geschwader.«
Das war entscheidend, darauf kam es an. Pellow hatte zwei Möglichkeiten gegeneinander abzuwägen: im schlimmsten Falle ging eine Transportbrigg verloren, bestenfalls gewann er eine Menge Proviant, der doch so unendlich wichtig war, weil er das Geschwader in Stand setzte, seinen Wachdienst vor dem Eingang zum Mittelmeer fortzusetzen. Im großen Zusammenhang gesehen war Hornblowers Vorschlag nicht von der Hand zu weisen.
»Einverstanden, Mr. Hornblower. Bis Sie den Proviant herausbringen, habe ich die Besatzung der Brigg von Bord geholt. Ich übertrage Ihnen hiermit das Kommando über die Caroline.«
»Danke, Sir.«
»Mr. Tapling wird sich als Passagier bei Ihnen einschiffen.«
»Jawohl, Sir.«
Als später die Barkaßbesatzung schwitzend und an den Riemen wuchtend die beiden Leichter vom Hafen herbeischleppte, fand sie die Caroline bereits verlassen vor ihrem Anker. Von der Indefatigable aus aber verfolgten ein Dutzend Kieker voll Neugier, was sich weiter begab.
Hornblower kletterte sogleich mit einer Handvoll seiner Leute an Bord.
»Eine richtige Arche Noah, Sir«, meinte Maxwell.
Der Vergleich traf den Nagel auf den Kopf. Die Caroline war ein Glattdecker, aber der ganze verfügbare Decksraum war durch Verschläge in Viehställe unterteilt. Um dennoch die Bedienung der Segel zu ermöglichen, hatte man leichte Planken über die Ställe gelegt, die insgesamt fast ein durchlaufendes Oberdeck
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