Hornblower 01 - Fähnrich zur See Hornblower
schwarzen Felszacken wieder zum Vorschein kamen.
Hornblower hielt sich nicht allein auf dem Vorgebirge auf.
Wenige Meter weiter stand ein Milizsoldat der spanischen Artillerie auf Ausguck und starrte mit tränenden Augen durch ein Fernrohr, mit dem er ständig den Seehorizont absuchte. Der Krieg gegen England verlangte allergrößte Wachsamkeit. Wie leicht konnte da draußen an der Kimm plötzlich eine Flotte auftauchen und eine Truppenmacht an Land setzen, um Ferrol zu erobern, seine Werften niederzubrennen und alle Schiffe im Hafen zu zerstören. Heute, sagte sich Hornblower, mußte man allerdings jede Hoffnung auf ein derartiges Unternehmen begraben, weil sich an dieser sturmgepeitschten Leeküste jede Landung von selbst verbot.
Und doch hielt der Posten sein Fernrohr allem Anschein nach ständig auf einen Punkt genau in Luv gerichtet. Er wischte sich nur kurz mit dem Ärmel die tränenden Augen aus und starrte dann sofort wieder in die gleiche Richtung. Hornblower folgte seinem Blick und strengte seine Augen an, konnte aber nicht erkennen, was die Aufmerksamkeit des Mannes so in Anspruch nahm. Der Posten murmelte etwas vor sich hin, dann wandte er sich ab und rannte schwerfällig bergab auf das kleine Wachhaus zu, wo seine Milizabteilung untergekrochen war, die die Bedienungen der auf dem Vorgebirge aufgestellten Geschütze zu stellen hatte. Er tauchte sogleich mit dem Feldwebel der Wachabteilung wieder auf, der nun selbst das Fernglas zur Hand nahm und auf die Stelle in Luv richtete, die ihm der Posten angab. Dann schwatzten die beiden aufgeregt in ihrem barbarischen Gallego-Dialekt. Hornblower hatte zwar im Lauf der Zeit Galicisch ebenso verstehen gelernt wie Kastilisch, aber diesmal verwehte der heulende Wind die Worte der beiden, so daß er so gut wie nichts davon aufschnappte. Endlich, als der Feldwebel auf eine Bemerkung des anderen zustimmend nickte, erkannte er mit bloßem Auge, was sie so aufregte. Ein winziges, blaßgraues Rechteck ragte in der Kimm über die graue See - das war das Marssegel eines Schiffes, das offenbar vor dem Sturm auf die Küste zulief, um in La Coruna oder Ferrol Schutz zu suchen.
Das war auf alle Fälle ein gewagtes Unternehmen, denn es war bei diesem Wetter alles andere als einfach aufzudrehen, um in der Bucht von La Coruna zu ankern, und bestimmt erst recht schwierig, auf Anhieb die schmale Einfahrt nach Ferrol zu treffen. Ein vorsichtiger Kapitän zöge es bei diesem Wetter sicherlich vor, sich von der Küste freizukreuzen oder bei ausreichendem Seeraum so lange beizudrehen, bis es sich ausgeweht hatte.
So sind sie eben, diese Spanier, dachte Hornblower und zuckte geringschätzig die Achseln. Aber im Grunde genommen konnte man es ihnen nicht verdenken, wenn sie so rasch wie möglich nach einem schützenden Hafen strebten, da ihnen doch draußen die Royal Navy überall auf den Hacken saß. Aber die Aufregung des Feldwebels und des Postens war mit Auftauchen eines einzelnen Schiffes schlechthin nicht zu erklären.
Hornblower konnte sich zuletzt nicht mehr beherrschen, er pirschte sich an das schwatzende Paar heran und legte sich dabei schon auf spanisch die Worte zurecht, die er an die beiden richten wollte.
»Bitte, meine Herren«, begann er und nahm dann mit erhobener Stimme gleich noch einen zweiten Anlauf, um den heulenden Sturm zu überschreien: »Bitte, meine Herren, sagen Sie mir, was Sie dort sehen.«
Der Feldwebel maß ihn mit einem unschlüssigen Blick, fand sich dann aber doch aus einem unerkennbaren Grund bereit, der Bitte zu willfahren, und reichte ihm das Fernrohr. Hornblower konnte seine Ungeduld kaum noch zügeln, er hätte ums Haar seine Beherrschung verloren und es dem Mann aus der Hand gerissen. Mit dem Glas am Auge ließ sich natürlich alles viel besser unterscheiden. Er sah, daß das Schiff voll getakelt war und unter dichtgerefften Marssegeln (was bei diesem Wetter jeder Vernunft Hohn sprach) mit rasender Fahrt auf die Küste zujagte. Im nächsten Augenblick machte er dann noch ein zweites graues Rechteck aus. Noch ein Marssegel - noch ein Schiff! Sein Vortopp war merklicher niedriger als der Großtopp und nicht nur das, der ganze Aufbau dieser Takelage war nicht zu verkennen: es konnte sich nur um ein britisches Kriegsschiff, eine Fregatte, handeln, die ihrem Gegner, wahrscheinlich einem spanischen Kaperschiff, mit brausender Fahrt nachsetzte. Ob sie rechtzeitig an den Spanier herankam? Oder ob es diesem im letzten Augenblick doch noch gelang, den
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