Hornblower 02 - Leutnant Hornblower
97.«
»Dann sind Sie also der jüngste Leutnant an Bord?«
»Ja«, sagte Hornblower.
Sein Benehmen verriet zwar nicht die geringste Enttäuschung darüber, daß sich der Neue als rangälter erwiesen hatte, aber Bush konnte sich seine Gefühle nur zu gut vorstellen. Er wußte ja aus eigenster Erfahrung, was es hieß, jüngster Leutnant auf einem Linienschiff zu sein.
»Sie sind also im Dienstalter der dritte«, fuhr Hornblower fort, »Smith ist der vierte, und ich bin der fünfte.«
»Also dritter«, wiederholte Bush halb im Selbstgespräch.
Jeder junge Leutnant verstand sich darauf, Zukunftsträume zu spinnen, auch wenn er so wenig Phantasie besaß wie unser Bush. Eine Beförderung lag zum mindesten theoretisch im Bereich der Möglichkeiten; die Raupe Leutnant konnte sich eines Tages in einen stolzen Schmetterling, Kapitän genannt, verwandeln, wobei es ihr sogar zuweilen gelang, das Puppenstadium des Commanders zu überspringen. Ohn Zweifel kam es manchmal vor, daß ein Leutnant vorzeitig befördert wurde, aber dann konnte man immer sicher sein, daß er im Parlament oder bei Hof mächtige Freunde besaß, es sei denn, er hätte das unwahrscheinliche Glück gehabt, irgendeinem hohen Admiral vorteilhaft aufzufallen und diesem Admiral gerade dann zu unterstehen, wenn eine Stelle frei wurde. Die meisten Kapitäne der Rangliste verdankten ihre Beförderung irgendeinem solchen Glückszufall. Gelegentlich kam es allerdings sogar vor, daß sich ein Leutnant seine Beförderung wirklich selbst verdiente - oder daß sich wenigstens eigenes Verdienst und eine Portion Glück dazu die Hand reichten -, wie es eben der blinde Zufall wollte. Zeichnete sich zum Beispiel ein Schiff in einem Gefecht von historischer Bedeutung besonders ruhmvoll aus, dann konnte man unter Umständen erleben, daß der älteste Leutnant zum Kapitän befördert wurde (was seltsamerweise als Auszeichnung des Kommandanten galt). Und wenn der Kommandant in einem Gefecht fiel, dann genügte schon eine leidliche Bewährung, um dem ältesten überlebenden Leutnant, der für den Ausgefallenen eingesprungen war, Nachfolge und Beförderung zu sichern. Auch eine schneidige Bootsunternehmung, ein kühnes Landungsmanöver, konnte dem Leutnant, der dabei die Führung hatte - dem rangältesten, wohlgemerkt! -, den ersehnten Aufstieg bringen. Immerhin, es gab Gelegenheiten, wenn sie auch, weiß Gott, reichlich dünn gesät waren.
Aber diese an sich schon geringen Aussichten kamen wiederum vor allem dem ältesten der Leutnants, dem Ersten Offizier, zugute, für die jüngeren boten sie sich natürlich doppelt selten. So kam es, daß sich kein Leutnant dazu versteigen konnte, von einer Beförderung zum Kapitänsrang mit seinen sicheren Einkünften, seinem Ansehen, seinen reichen Prisengeldern zu träumen, ohne alsbald bei nüchternen Erwägungen über sein Rangdienstalter als Leutnant zu enden.
Wurde die Renown während ihrer gegenwärtige Indiensthaltung in Gewässer entsandt, wo es keinen Admiral gab, der Bush irgendeinen Günstling vor die Nase setzen konnte, dann hatte er fortan nur noch zwei Vorderleute, die ihn von dem aussichtsreichen Rang des ältesten Leutnants trennten.
Selbstverständlich gingen Bush diese Dinge durch den Kopf, ebenso selbstverständlich dachte er keine Sekunde daran, daß der Mann, mit dem er sprach, sogar mit zweimal so vielen Vorderleuten rechnen mußte.
»Immerhin, wir gehen nach Westindien«, sagte Hornblower philosophisch.
»Da gibt es gelbes Fieber, Faulfieber, Hurrikane, Giftschlangen, schlechtes Wasser, tropische Hitze - und zehnmal mehr Gelegenheiten, ins Gefecht zu kommen, als in der Kanalflotte.«
»Das stimmt«, pflichtete ihm Bush bei.
Leutnants mit drei und vier Jahren Dienstzeit und mit ihrer jugendlichen Vorstellung von der unendlichen Ferne des Todes konnten eben auch den Gefahren des Dienstes in Westindien mit gelassenem Gleichmut entgegensehen.
»Kommandant hat abgelegt«, meldete der Fähnrich der Wache voll Diensteifer.
Hornblower nahm den Kieker ans Auge und richtete ihn auf das näher kommende Werftboot.
»Richtig«, sagte er »Laufen Sie nach vorn und melden Sie es Mr. Buckland. Bootsmannsmaate, Fallreepsgaste, Los dafür.«
Kapitän Sawjer trat durch die Fallreepspforte, grüßte mit der Hand am Hut zum Achterdeck und sah sich argwöhnisch um.
Gewiß, das Schiff befand sich in einem greulichen Durcheinander, aber das war bei den letzten Vorbereitungen für ein längeres Auslandskommando nur natürlich
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