Hornblower 08 - Der Kommodore
scharfe Gedankenarbeit zu leisten. Da stieg nämlich jedesmal sein Blutdruck, und gleichzeitig befiel ihn eine wilde körperliche Unrast.
Heute abend zwang ihn, Gott sei Dank, niemand, sitzenzubleiben. Er hatte den Stuhl zurückgeschoben und konnte nun ungehindert auf und ab gehen, immer vom Tisch zum Fenster und dann wieder zurück zum Tisch, die Strecke war mindestens ebenso lang, wie die auf dem Achterdeck manches seiner Schiffe, und dabei gab es hier obendrein weniger Hindernisse. Kaum hatte er seine Wanderung begonnen, da öffnete sich leise die Zimmertür, und Brown, den das Geräusch des Stuhlrückens herbeigerufen hatte, steckte durch den Spalt vorsichtig seinen Kopf herein. Der Kapitän hatte also begonnen, auf und ab zu wandern, das hieß, daß er bestimmt noch sehr lange nicht schlafen ging.
Brown war ein kluger Mensch, der sich auch bei der Bedienung seines Herrn immer von seinem gesunden Menschenverstand leiten ließ. Deshalb machte er jetzt die Tür leise wieder zu und wartete volle zehn Minuten, ehe er das Zimmer betrat. Bis dahin war nämlich Hornblower mit seiner Wanderung gut in Zug gekommen, und dann hatte sich auch der Strom seiner Gedanken ein Bett gegraben, aus dem er nicht mehr so leicht abzulenken war. So war Brown imstande, einzutreten, ohne seinen Herrn zu stören, es war sogar nur sehr schwer festzustellen, ob Hornblower seine Anwesenheit überhaupt zur Kenntnis nahm oder nicht. Nun stimmte er seine Bewegungen genau auf das regelmäßige Hin und Her des Kapitäns ab, so konnte er rasch und unauffällig an den Tisch treten und die Wachslichter putzen, die schon begonnen hatten, zu tropfen und schrecklich zu stinken, und schnell noch frische Kohle aufs Feuer schütten, das schon zu einem Haufen glühender Asche zusammengesunken war. Dann schlüpfte er wieder aus dem Zimmer und machte sich auf eine lange Wartezeit gefaßt. Sein Kapitän war sonst ein sehr rücksichtsvoller Herr und dachte gar nicht daran, seinen Diener bis spät nachts aufbleiben zu lassen, nur damit er ihn beim Zubettgehen zur Verfügung hatte. Das wußte Brown genau, und deshalb fand er auch nichts dabei, wenn er heute ausnahmsweise einmal vergessen hatte, ihn zu entlassen. Hornblower aber wanderte ohne Unterlaß mit regelmäßigen, gemessenen Schritten in seinem Zimmer auf und ab, der eine Wendepunkt lag zwei Zoll von der Wandvertäfelung unter dem Fenster, der andere war so berechnet, daß er beim Wenden mit der Hüfte leicht die Tischkante streifte. Russen und Schweden, Geleitzüge und Kaperschiffe, Stockholm und Danzig, all das gab ihm eine Fülle von Stoff zum Nachdenken. In der Ostsee war es kalt, das hieß, daß er für wirksamen Schutz zu sorgen hatte, damit seine Besatzungen gesund blieben. Vor allem aber mußte eines geschehen, und zwar, sobald der Verband zusammentrat. Er mußte sich vergewissern, daß auf jedem Fahrzeug wenigstens ein Offizier war, der Signale rasch und richtig geben und ablesen konnte. Klappte der Signaldienst nicht, dann war die beste Disziplin umsonst und die klügste Organisation ein Schlag ins Wasser. Dann konnte er sich das Plänemachen von vornherein ersparen. Und dann diese Kanonenboote! Sie hatten den Nachteil...
Hier sah sich Hornblower durch ein Klopfen an der Tür plötzlich roh unterbrochen.
»Herein!« rief er kurz und ungnädig.
Langsam öffnete sich die Tür, auf der Schwelle stand Brown und neben ihm mit verängstigter Miene der Wirt in seiner grünen Schürze. »Was ist denn los?« herrschte Hornblower die beiden an. Jetzt, da seine Achterdeckswanderung unterbrochen war, merkte er auf einmal, daß er sehr müde war. Er hatte ja auch allerlei erlebt, seit ihn seine Pächter heute morgen als neuen Gutsherrn von Smallbridge begrüßt hatten, und die Müdigkeit in den Beinen verriet ihm, daß er hier zwischen Tisch und Fenster eine ordentliche Wegstrecke zurückgelegt hatte.
Brown tauschte noch ein paar Blicke mit dem Wirt, bis sich dieser endlich ein Herz faßte:
»Die Sache ist die«, begann er aufgeregt, »auf Nummer vier, genau unter diesem Zimmer, wohnt Seine Lordschaft, Sir. Seine Lordschaft sind etwas reizbar, Sir, halten zu Gnaden, Sir. Und Mylord sagte, nichts für ungut, Sir, also er sagte, um zwei Uhr morgens könnte er von jedem verlangen, daß er aufhörte, über seinem Kopf spazierenzugehen. Mylord meinte...«
»Zwei Uhr morgens?« warf Hornblower fragend ein. »Es geht schon auf drei, Sir«, erlaubte sich Brown taktvoll zu bemerken.
»Jawohl, Sir, als er zum
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