Horror Factory 02 - Crazy Wolf: Die Bestie in Mir
Schicksal, oder Ironie?
Sierra antwortet nicht auf meine Frage.
Stattdessen sagt sie:
»Wie geht’s unserem Wölfchen?«
Das sitzt.
Ich schweige perplex.
Sierra lächelt zufrieden.
Sie kommt näher, geht vor mir in die Hocke und streichelt mir zärtlich über die stoppelige Wange.
Ich starre sie sprachlos an.
Sie weiß über den Wolf Bescheid.
Mehr noch.
Sie hat keine Angst vor mir.
Was nur eines bedeuten kann.
Sie weiß, dass er mir nicht zur Hilfe kommen wird, weil sie es war, die ihn irgendwie ruhiggestellt hat.
Sierra sieht mir amüsiert dabei zu, wie ich hektisch meine Arme absuche.
Die Ketten begleiten meine Bemühungen mit ihrem Gerassel.
Ich beachte es kaum.
Da.
Einstichlöcher.
Verdammt.
Mein Kopf ruckt wieder in Sierras Richtung.
Sie tätschelt ein letztes Mal meine Wange, steht auf und wendet mir ihre ansehnliche Kehrseite zu.
»Ich muss pissen«, sage ich zu ihrem hübschen Hintern, ehe sie die Tür ganz erreicht hat.
Leider bringt sie das nicht aus dem Konzept.
Sie geht nach draußen und kommt mit einem Eimer zurück.
Stellt ihn vor mir auf den Metallboden.
Ich starre den gelben Plastikeimer an.
Erst will ich sie fragen, ob das ihr ernst ist.
Dann fällt mir was Besseres ein.
»Hey«, schnarre ich, und sie dreht sich tatsächlich noch mal halb zu mir um.
Punkt für mich.
»Hältst du ihn für mich? Der alten Zeiten willen?«
Krieg natürlich keine Antwort.
Nicht mal ein eisiges Lächeln.
Sie schwebt bloß aus dem Raum.
Bevor Sierra geht, macht sie aber noch das Licht aus.
Punkt für sie.
Ich schmore in der Düsternis zwischen Plastikeimer und Stahlwand vor mich hin.
»Was soll’s«, murmle ich irgendwann und versuche, trotz der Ketten die beste Position zu finden.
*
Die Tür geht auf, und ich trete beherzt gegen den Eimer.
Er macht einen schlingernden Satz nach vorn.
Auf halbem Weg fällt er um, und ein Schwall Pisse begrüßt den Besucher.
Leider ist es nicht Sierra.
Die Glatze und die Statur eines Stanley-Cup-Gewinners sprechen eindeutig dagegen.
Der barhäuptige Kleiderschrank, der das Licht angeschaltet hat, betrachtet regungslos die Bescherung, in der er steht.
Verzieht keine Miene.
Lässt auch nicht die Fingerknöchel knacken oder so.
Er schreitet nur gemächlich durch die gelbe Lache.
Genau auf mich zu.
Das Gesicht noch immer wie aus Stein.
»War keine Absicht, Mann«, sag ich und grinse ihn blöd an.
Er ragt stumm über mir auf - und verpasst mir mit einer seiner riesigen Pranken einen Hieb, der sich gewaschen hat.
Es folgen vier oder fünf dieser Hammerschläge, bis ich und die Ketten klirrend auf dem Metallboden zusammensinken.
Blut tropft von meiner Lippe und rinnt über mein Kinn.
Der Wolf rührt sich kurz, aber die Drogen sind nach wie vor mächtiger als die Bestie, wie’s aussieht.
Wundert mich, dass ich keinen Zahn ausspucke.
Bin trotzdem ganz schön mitgenommen.
Krieg nur aus weiter Ferne mit, wie starke Finger grob mein Handgelenk packen.
Wie mir eine Nadel in den Arm gerammt wird.
Meine Venen scheinen zu platzen.
Mir wird schwindelig.
Der Riese verschwindet wieder.
Nimmt das Licht mit.
Blut läuft über mein Kinn.
Mein Blick verschwimmt.
Die Dunkelheit beginnt sich zu drehen.
»Dein Eimer ist fort, Kid«, bemerkt Dead Crow wenig hilfreich.
Ich will ihm antworten, bin jedoch schon zu weit weg.
*
Keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist, seit mich der kahle Riese ins Land der Träume geschickt hat.
Und vor allem: Keine Ahnung, wo ich diesmal bin.
Anscheinend hat man mich woanders hingebracht.
Der Raum hier ist wesentlich größer, dem Luftzug nach zu urteilen.
Ich hänge wieder an Ketten, die irgendwo an der Decke befestigt zu sein scheinen und mir nicht viel Spiel lassen.
Stramm wie Stahlseile.
Nur die Fesseln an den Handgelenken sind etwas lockerer.
Meine gestreckten Arme und Beine schmerzen.
Genauso mein Rücken.
Kann mit den Fußspitzen gerade so den Boden berühren.
Flankiert werde ich von zwei dicken Steinsäulen.
Hab gerade jedoch keinen großen Sinn für die Architektur.
Mein Kopf dröhnt.
Mir ist noch immer schwindelig.
Das Spotlight, das auf mich herabfällt, ist grell und stört mehr, als dass es hilft.
Überrascht stelle ich immerhin fest, dass der Wolf wieder da ist.
Noch ziemlich weit weg.
Doch er nähert sich mit Riesensätzen.
Und er ist so wild, wie ich es noch nie erlebt habe.
Ich überlege fieberhaft, was das bedeutet.
Dieser plötzliche Kurswechsel.
Erst fast gar nicht mehr
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