Horror Factory - Glutherz
normal erachtete, die zu meiner Welt gehörten. Und in meine Welt gehörten diese Lampen ganz gewiss nicht.
Die nächste Sache, über die ich mich wunderte, war die Kleidung dieser Frau. Sie trug eine enge Jacke und einen Rock – beides in einer Art Ockerfarbe. Um den Hals hatte sie eine dicke Kette gelegt, an deren unterem Ende etwas aus Bernstein glänzte. Das war farblich sehr geschmackvoll und gut aufeinander abgestimmt, doch wie kurz war ihr Rock! Er ging nicht mal bis zu den Knien. Das war doch in höchstem Maße unzüchtig – obwohl die Dame, das musste ich zugeben, sehr hübsche Beine hatte.
»Ob ich dich kenne, Olympia?«, fragte sie. »Natürlich kenne ich dich. Und nicht nur ich. Die ganze Welt kennt dich.«
Hatte ich richtig gehört? Die ganze Welt? Was sollte das denn heißen?
»Aber du hast recht, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Wilhelmina. Doktor Wilhelmina.«
Eine Frau, die Doktor war … Irgendwie passte das auch nicht in die Gedanken, die mir Professor Spalanzani eingegeben hatte.
»Sind Sie Ärztin?«
»Nein, mein Fachgebiet ist ein anderes, Olympia. Aber sage mir zuerst: Was weißt du über dich? Wo kommst du her?«
Mittlerweile war mir klar, dass ich wohl nicht in Gefahr schwebte. Jedenfalls nicht unmittelbar. Wenn die Frau mit Coppelius unter einer Decke steckte, dann konnte ich es ohnehin nicht ändern, dann war alles verloren. Und wenn nicht, würde ich wenigstens mehr über mich erfahren.
Ich beschloss, ihre Frage nicht direkt zu beantworten, sondern eine Gegenfrage zu stellen.
»Kennen Sie Coppelius?«
Sie zog überrascht die Augenbrauen hoch.
»Du kennst Coppelius?«
»Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich weiß, dass er mein Feind ist. Ich habe die Schriften von Professor Spalanzani gelesen, darin hat gestanden …«
Sie erhob erstaunt die Augenbrauen. »Du kannst lesen?«
»Ja, ich habe es gelernt, nachdem ich … Ich weiß auch nicht, wie es kam. Am Anfang ging es noch nicht, ich habe nur die Bilder in den Büchern ansehen, aber die Buchstaben nicht entziffern können. Doch dann … Ich habe keine Ahnung, was letztlich dazu geführt hat …«
»Du weißt also, dass Spalanzani dich geschaffen hat und dass Coppelius dir das Geheimnis des Lebens entreißen will?«
»Entreißen? Nein, so genau habe ich das nicht gewusst …«
Sie seufzte. »Er ist ein dunkler, sehr böser Magier … Ich denke, dass die Gestalten, die dich angegriffen haben, unter seiner Macht stehen. Aber wie ich schon sagte, hier bist du sicher. Nathan und ich passen auf dich auf. Nun sage mir – kannst du dich an Spalanzani erinnern? Hast du ihn getroffen?«
Ich überlegte. Es war so viel geschehen. Wie hatte alles angefangen?
»Ich bin Hoffmann begegnet«, sagte ich nachdenklich.
»Hoffmann?«, unterbrach mich Wilhelmina erneut. »Du hast mit ihm gesprochen?«
»Aber ja«, rief ich. »Ich komme doch aus seinem Haus. Jedenfalls glaube ich, dass es sein Haus war … Er hat mich davor gewarnt, hinauszugehen. Aber ich war so neugierig.«
»Sein Haus …« Wilhelmina nickte. »Ja, es ist sein Haus. Das ergibt Sinn …«
»Ich wollte wissen, wie groß die Welt ist, was es außer der dunklen Dachkammer gibt … Und so habe ich mich seinem Rat widersetzt. Seinem und dem des Mannes, der …«
Die Stimme! Plötzlich fiel mir die Stimme ein, die zu mir gesprochen hatte, als ich gerade mein Bewusstsein erlangte.
Ich erklärte Doktor Wilhelmina, woran ich mich erinnerte.
Wie ich den Schrei hörte. Wie ich den Mechanismus fand. Wie Hoffmann erschien. Wie ich das Haus verließ und angegriffen wurde. Alles.
»Ich glaube, ich habe einen Verdacht, was das bedeutet«, sagte sie. »Der Mann, der zu dir sprach – ganz am Anfang -, das muss Professor Spalanzani gewesen sein. Er hat dich erschaffen und dich dann in die Dachkammer gebracht, weil er glaubte, dass du dort sicher bist. Und der Schrei, den du dann hörtest – er kann nur bedeuten, dass etwas Schlimmes geschehen sein muss. Du hast die dunkle Gestalt am Fenster gesehen, gleich danach. Wir müssen damit rechnen, dass Coppelius Spalanzani in seine Gewalt gebracht hat. Dass er ihn zwingen will, ihm zu sagen, was das Geheimnis deines Lebens ist.« Sie runzelte wieder die Stirn und betrachtete mich. »Ein Leben, das wirklich täuschend echt funktioniert. Dein Herz ist das Zentrum, das Geheimnis. Alles andere entwickelt sich nach und nach um das Herz herum. Als ich dich fand, warst du bestenfalls ein Schemen ohne Körper. Das Herz
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