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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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mich auf die gepolsterte Bank fallen. Riesige Gebäude blickten auf mich herab. Die Lichter an ihnen bildeten Worte, blinkende, von links nach rechts einzeln buchstabierende, in allen Farben ihre grellen Botschaften herausschreiende Schriften. Instinktiv umfasste ich die Spieluhr an meinem Hals, ich tastete sogar nach der Kurbel und drehte sie ein wenig, aber das Brummen des Gefährts übertönte den Silberklang, der nur noch matt zu erahnen war …
    »Hab keine Angst«, rief Doktor Wilhelmina von vorne. »Wir sitzen in einem Auto. Du weißt nicht, was ein Auto ist, das verstehe ich. In deiner Zeit gibt es nur Kutschen. Und Pferde. Handkarren. Das Auto ist das Gleiche – nur in unserer Zeit …« Sie brachte das Auto zum Beschleunigen, sodass ich nach hinten geworfen wurde, und bremste dann wieder ab.
    Wir kamen zum Stehen.
    Reiß dich zusammen, sagte ich mir und blickte auf das rote Pulsieren, das sich der Rückseite von Doktor Wilhelminas Sitz spiegelte. Es ging wieder sehr schnell – das Zeichen meiner Angst.
    Und da sah ich ein zweites rotes Licht. Es stand rechts vor uns und schien mich anzustarren. Für einen Moment war es, als habe die Welt den Atem angehalten. Das Innere unseres Autos brummte vor sich hin. Neben uns und hinter uns standen viele weitere dieser Gefährte. Mein Blick suchte den nächtlichen Himmel über den beleuchteten Häusern, doch da war nichts. Keine Schwärze, geschweige denn Sterne oder gar der Mond. Nur eine milchige Schicht, wie Nebel oder eine Decke aus Mehlstaub, auf der es ab und zu einige seltsame helle Lichtreflexe gab.
    Es gibt in dieser Welt gar keinen Himmel mehr, es gibt keine Nacht mehr. Alles ist in sich gefangen, verstellt sich gegenseitig.
    Und als ich das erkannte, wurde ich mit einem Mal ganz ruhig. Mein Herzschlag verlangsamte sich. Das Brummen des Autos wurde leiser, und vor das Geräusch schob sich eine feine Melodie. Ich erkannte sie, sie kam von meiner Spieluhr, die jetzt ganz von allein zu spielen begann.
    Ich schloss kurz die Augen.
    Und als ich sie wieder öffnete, war alles um mich herum verschwunden.

3
    Ich lag auf dem nassen Pflaster – vor mir eine Kette von geradezu wohltuend sanften Straßenlampen. Die Luft war viel reiner, frischer. Ich atmete wie jemand, der zu lange unter Wasser gewesen ist und nun endlich wieder an die Oberfläche kommt.
    Die Spieluhr schwieg. Ein Schreck durchzuckte mich. Hatte ich sie verloren? Nein, sie hing um meinen Hals. Hätte es diese Kette nicht gegeben, ich hätte fast geglaubt, das Erlebnis mit Doktor Wilhelmina wäre ein Traum gewesen …
    Ein Klappern näherte sich – auch dies war erholsam im Vergleich zu dem Lärm, der in der anderen Welt geherrscht hatte. Ich stand auf. Mir war klar, dass es nicht gut aussah, wenn man als junges Mädchen in der Stadt auf der Straße lag.
    Das Klappern kam von einer Kutsche, die hinter mir um die Ecke bog. Das hier war dieselbe Stelle, wo mich Doktor Wilhelmina aufgesammelt hatte. Vor der Straßenecke eröffnete sich der Platz mit dem breiten Gebäude, daneben das Haus mit der Kuppel, von dem ich plötzlich wusste, dass es eine Kirche sein musste.
    Die Kutsche war schwarz und wurde von zwei Pferden gezogen. Ich drückte mich in einen Hauseingang und wartete, bis sie vorbeigefahren war. Der Kutscher auf dem Bock beachtete mich nicht. Und wer auch immer in dem Fahrzeug saß, er hatte es nicht auf mich abgesehen.
    Nur ein kleines Stück weiter lag das Haus mit der rettenden Dachkammer. Ich lief los und genoss es, dass meine Beine mir gehorchten. Mir war so, als hörte ich wieder Musik, die sogar zum Rhythmus meiner Schritte passte. Beschwingt erreichte ich die Tür, riss an der Klinke.
    Abgeschlossen.
    Mein Schreck wurde sofort von etwas wie Balsam gedämpft. Die Musik. Sie war nicht in meinem Kopf. Sie war real. Sie kam von dem großen Gebäude gegenüber. In den Fenstern der mit prachtvollen Säulen geschmückten Fassade leuchtete es bunt. Farbiges Glas, dahinter brannten sicher tausend Kerzen.
    Das musste ein Theater sein!
    Kaum war mir das klar geworden, wurde die Musik lauter. Als würden die Klänge des Orchesters nur auf mich warten.
    Ich rannte, nein, ich tänzelte hinüber.
    Die rauschenden Melodien und die Rhythmen erregten mich so, dass das Bild der Welt um mich herum zu verschwimmen schien. Gleichzeitig wurde mein Körper, während ich die Stufen hinaufeilte, leicht wie eine Feder. Ein überirdisches Strahlen empfing mich, als ich durch die Tür in das Innere des Theaters

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