Hotel der Lust
Summers näher gekommen war. Unweigerlich fing sie an zu zittern, hob beide Hände schützend vor die Brust.
Im ersten Moment wäre Ivy fast das Herz stehen geblieben, denn die Situation sah mehr als beängstigend aus, aber dann wurde ihr allmählich klar, was hier wirklich vor sich ging. Ein weiteres Rollenspiel. Und dieses war um einiges glaubwürdiger als das letzte. Man konnte fast meinen, Jessica schwebte gerade tatsächlich in Lebensgefahr. Auch Alexander spielte seine Rolle hervorragend. Das Entsetzen in seinen Augen, die verkniffenen Lippen, die Anspannung in seinem Gesicht. Jetzt fehlte nur noch Ellen, die als Polizistin den Schurken Leon dingfest machte.
»Ihr macht das echt klasse«, gab Ivy ihrem Impuls nach. Sie wusste, dass ihr Kommentar das Spiel ein wenig störte, aber sie wollte unbedingt ihre Anerkennung für die tolle Leistung zollen. Zumal das Ganze so aufregend und gut gespielt war, dass sie es im ersten Moment für echt gehalten hatte.
Leon ruckte zu ihr herum. »Was bitte?«
Das war der Moment, den Alexander nutzte. Er stürzte sich plötzlich auf seinen Kollegen und riss ihn zu Boden, wo sie verbissen um die Pistole kämpften. Alexander versetzte Leon einen Fausthieb mitten ins Gesicht, was Ivy deutlich zu übertrieben fand, denn es sah aus, als hätte es dem armen Kerl wirklich weh getan.
»Nicht so doll, Alex«, bat sie, aber Alexander hörte nicht auf sie. Er war eindeutig der stärkere der beiden Männer. Leon lieà die Pistole tatsächlich los, nachdem Alexander sein Handgelenk fest umklammert und mit voller Wucht immer wieder gegen den Steinboden geschlagen hatte. Leon stöhnte vor Schmerz auf. Und Alexander gab ihm noch einen letzten Schlag auf die Nase. Ein unangenehmes Knacken erklang, dass Ivy durch und durch ging. Jetzt war sie wirklich geschockt.
»Ihr geht zu weit«, beschwerte sie sich, aber noch immer reagierte niemand auf ihre Einwände. Wäre sie nicht angebunden gewesen, sie wäre dazwischengegangen. Aber Jessica und Mrs Summers standen einfach nur wie angewurzelt da und starrten zu dem am Boden liegenden Leon, aus dessen malträtierter Nase Blut floss.
»Das Geschäft ist geplatzt«, erklärte Mrs Summers schlieÃlich nach einer halben Ewigkeit und stöckelte zum Ausgang des Kellers. Doch gerade als sie an der Tür war, ging diese auf, und eine Frau in Uniform, ebenfalls bewaffnet, trat ein.
Ellen! Na endlich! Wie im Film kam die Polizei zu spät, wenn der Held bereits aufgeräumt hatte. Ihr folgte ein Kollege. Es war einer der Tänzer der Hot Spices. Ivy erkannte ihn in seiner schmucken Uniform wieder. Während er sich um den angeschlagenen Leon kümmerte und ihm die Handschellen anlegte, führte Ellen Jessica ab.
»Sie sind verhaftet.«
»Pah! Sie haben doch keinen Beweis«, schrie Leon auf.
Ivy wünschte wirklich, ihre Hände wären frei gewesen, sie hätte den Darstellern Applaus gespendet. Die Vorführung war bühnenreif, ach was, oscarreif.
»O doch, den haben wir«, entgegnete plötzlich Mrs Summers und zauberte nicht nur die verschwundene Büste aus einem Regal mit diversen Spielzeugen hervor, in dem sie das Kunstobjekt offenbar zuvor versteckt hatte, sondern auch eine ähnliche Polizeimarke, wie Ivy sie schon einmal bei Ellen gesehen hatte. »Dummerweise hatten Sie mir bereits am Telefon verraten, wo Sie die Beute versteckt haben«, sagte Mrs Summers triumphierend. »Es war ein Leichtes, sie ausfindig zu machen und zu bergen.«
»Sie haben sie mir also gestohlen!« Leon schnaubte vor Wut.
»Gut kombiniert.«
»Es war von Anfang an eine Falle. Ellen und ihr Tanzpartner, sogar Sie, Mrs Summers â verdeckte Ermittler!« Leon versuchte, sich aus dem Griff des Polizisten, der ihn auf die Beine zog, zu befreien, doch der war um einiges stärker.
»Und wieso hast du da mitgemacht?«, wollte Ivy von ihrer Freundin wissen. Sie war gespannt auf die Erklärung, die diese ihr lieferte, aber Jessica antwortete nur mit einem giftigen Blick.
Die »Verbrecher« wurden abgeführt, und nur Alexander und Ivy blieben zurück. Jetzt würde wohl der aufregendste Teil des Rollenspiels kommen, und Ivy konnte es gar nicht erwarten, endlich Alexanders Hände an ihrem Körper zu spüren. Geliebt vom Helden, der den Schurken bezwungen hatte. Gab es ein aufregenderes Szenario? Doch merkwürdigerweise
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