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Hotzenwaldblues

Hotzenwaldblues

Titel: Hotzenwaldblues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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die
Weinberge gezogen war und Schmuggler und Zöllner gespielt hatte. Irgendwann
hatten sich dann allerdings die Grenzen von Spiel und Realität verschoben, und
Margits Bande hatte Autos geknackt, um anschließend die Musikanlagen daraus zu
verscherbeln. Belledin hatte damals die undankbare Aufgabe gehabt, Margit in
Jugendhaft zu schicken und ihrem Vater zu erklären, dass es das Gesetz nun mal
so vorschreibe. Seitdem hatte der alte Brenn mit Belledin kein Wort mehr
gewechselt. Und auch mit Margit sollte er heute zum ersten Mal wieder sprechen.
    »Hallo, Margit. Lange nicht gesehen«, eröffnete Belledin den Versuch
eines Gesprächs.
    »Kein Verlust, oder?« Margit grinste frech, dass sich kleine
Grübchen in ihre Wangen schlichen. So verführerisch ihr Lächeln war, so giftig
blitzte das Grün aus ihren Augen.
    Margit wusste, was sie Belledin schuldig war. Er hätte sie damals
auch entwischen lassen können. Aber Belledin war jung gewesen, selbstgerecht
und hatte sauber bleiben wollen. Ihr Lächeln verschwand.
    »Wollen Sie meine Schwester verhören? Dann bestellen Sie sie aufs
Revier.« Sie drehte sich zu Silke und half ihr auf. Silke zeigte noch immer
kein Gesicht. An Margits Arm wankte sie über den Kies zum hinteren Ausgang des
Friedhofs.
    Belledin blickte den beiden stumm nach und zückte seinen Notizblock.
Ganz sicher würde er Silke aufs Präsidium bestellen. Und nicht nur sie.
    * * *
    Erst jetzt wurde Killian klar, dass er eine ganze Woche zwischen
Dunkelkammer und Sofa gependelt war, ohne auch nur ein einziges Mal das Atelier
verlassen zu haben. Es schien ihm, als hätte hier draußen der Evangelist
Johannes Anregungen für seine apokalyptischen Reiter finden können. Böschungen
waren verwüstet, ganze Raine abgerutscht, Straßen unter Löß begraben. Überall
versuchten Bagger und Traktoren die Schäden, die der Regen angerichtet hatte,
zu beheben. Eine Katastrophe für die Winzer. Die wenigsten waren gegen solche
Wetterschäden versichert. Noch im Juli hatte man von der besten Ernte seit
Jahrzehnten gesprochen und sich hoffnungsvoll auf die Schulter geklopft,
Experten prophezeiten gar einen Jahrhundertwein. Nun durfte man froh sein um
jeden Tropfen, den dieser Jahrgang aus sich herauspressen ließ.
    Killian war nie ein großer Freund der Winzer gewesen. Da er nicht
als Eingesessener galt, sondern ein Kind der Arbeiter war, die im Zuge der
kleinen Industrie Bötzingens an den Kaiserstuhl gezogen waren, galt er als
»Plaschtiker«. Der Begriff war aus dem Hochdeutschen »Plastik« abgeleitet
worden, eine rotwelsche Kreation der Einheimischen. Das Unternehmen in
Bötzingen, das zunächst Nichtbadener und später auch Gastarbeiter angezogen
hatte, machte sein Geld mit der Fabrikation von Kunststoffteilen. Man begann
mit Bierkästen, Regentonnen und Haushaltswaren, dann spezialisierte man sich
auf Autostoßstangen. Was die Zukunft bringen würde, wusste niemand so recht.
Aber irgendetwas mit Plastik würde es schon sein.
    Jedenfalls galt der Plaschtiker dem einheimischen Winzerkind als
natürlicher Feind, ebenso zu bekämpfen wie eine Reblaus, was auf dem Schulhof
manch blutige Nase mit sich gebracht hatte. Stibitzten die Plaschtiker die
dunkelroten Kirschen aus den Plantagen, hetzten die Winzerkinder die
Schäferhunde auf sie; naschten die Plaschtiker kurz vor der Weinlese von den
reifen Trauben, krachte Schrot aus den Flinten der Obsthüter. Wurde dabei einer
der Plaschtiker aus Versehen getroffen, zuckten die Winzer mit den Schultern;
schließlich hatten sie nur auf Krähen gezielt. Man musste eben flink sein und
durfte sich nicht erwischen lassen.
    Killian befand sich noch immer auf der Straße, die von Oberbergen
nach Vogtsburg führte. Es ging nur im Schritttempo vorwärts. Immer wieder
sprudelten kleine Bäche, die sich ihren Weg durch den Löß gebahnt hatten, von
den Hängen und fluteten die Straße. Vor Killian schlichen noch vier andere
Autos hinter einem schweren Traktor her. Er genoss das Schneckentempo, dadurch
konnte er sich die Verwüstung besser ansehen. Er ertappte sich dabei, dass ein
Hauch Schadenfreude in ihm aufstieg. Allerdings rügte er sich auch gleich
dafür. Aber es war ein Reflex aus vergangener Zeit, als Plaschtiker und
Winzerkinder noch im Krieg gelegen hatten. Freunde waren sie zwar noch immer
nicht geworden, aber wen würde Killian schon einen Freund nennen? Vielleicht
Moshe. Aber selbst die Freundschaft mit Moshe bedurfte einer genauen
Definition, die viele Einschränkungen

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